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Dorota Pietrzyk-Reeves: Civil Society, Democracy and Democratization

22.05.2017
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Autorenprofil
PD Dr. phil. Matthias Lemke
Peter Lang 2016 (Warsaw Studies in Philosophy and Social Sciences 6)

Zivilgesellschaft, Demokratie und Demokratisierung
Konzeptualisierung der Begriffe im Kontext von Transformationen

Die Analyse sowie die Analysemöglichkeiten der Transformationen in den Staaten Mittel- und Osteuropas, wie sie nach 1989 eingesetzt haben, stehen im Mittelpunkt dieses Buches – sie sind ein idealer Gegenstand, um Demokratisierungsprozesse zu beobachten. Diese können, wie Dorota Pietrzyk-Reeves betont, gelingen, sie können aber auch scheitern. Als zentral erweise sich in diesem Zusammenhang die Rolle der Zivilgesellschaft. Deren Wirken sei für Demokratisierungsprozesse sowohl in normativer als auch in politisch-praktischer Perspektive von hoher Wichtigkeit: „My major goal in this book is a conceptualization of civil society, democracy and democratization in the light of normative political theory on the one hand, and the challenges of democratic transformation in post-communist Europe on the other“ (7).

Vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisinteresses, das sich um die Begriffe Zivilgesellschaft, Demokratie und Demokratisierung gruppiert, gliedert Pietrzyk-Reeves ihren Band in drei Teile und widmet sich jeweils schwerpunktmäßig einem der drei Begriffe. Die Auseinandersetzungen mit der Zivilgesellschaft und dem Demokratiebegriff sind dabei stärker normativ-theoretisch akzentuiert, wohingegen in den dritten Teil verstärkt empirische Bezüge einfließen.

Zunächst also zur Zivilgesellschaft. Wie Pietrzyk-Reeves ausführt, ist der Begriff schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in der zentral- und osteuropäischen Politik angekommen, seit den 1980er-Jahren kursierte er insbesondere in den oppositionellen Bewegungen und in den sie unterstützenden akademischen Kreisen. Nach der Epochenwende erhielt das politische Konzept, das – im Anschluss etwa an Ernest Gellner – als pluralistische Sphäre freier Bürgerorganisation jenseits des Staates beschrieben werden kann, zunächst einen weiteren Bedeutungsschub. Dieser erfuhr jedoch bald einen Dämpfer, nämlich als deutlich wurde, dass die Transformationsprozesse ehemals kommunistischer Regime hin zu liberalen Demokratien alles andere als unproblematisch verlaufen würden. Gegenüber einer korrupten Politik und einer ebensolchen Wirtschaft sei die Zivilgesellschaft, so Pietrzyk-Reeves, einfach zu schwach gewesen. Erst in der zeitgenössischen Diskussion wurde das politische Konzept der Zivilgesellschaft wieder aufgegriffen, etwa wenn es darum ging, Widerstandsbewegungen gegen autoritäre Regime zu beschreiben. Im Vergleich zu westlichen Demokratien sei das Erklärungspotenzial des Konzepts jedoch immer noch sehr schwach ausgeprägt. Das aber zeuge nicht von der Untauglichkeit des Konzepts insgesamt, sondern vom transitorischen Charakter der zentral- und osteuropäischen Staaten, in denen sich demokratische Verfassungen und Institutionen erst zu bilden und zu etablieren beginnen. Und das gelte damit auch für die Zivilgesellschaft.

Aus dieser Perspektive stellt die Autorin eine der tragenden Säulen liberaler Demokratie dar, der der zweite Teil des Buches widmet ist. Genauer gesagt: Es geht um eine Rekonstruktion partizipativ ausgerichteter Demokratietheorien, insbesondere deliberativer Demokratietheorien. Mit Blick auf die Theoriebildung hebt Pietrzyk-Reeves hierbei hervor, dass deliberative Demokratietheorien eine erhebliche Bandbreite an Teilhabeformaten inspiriert und gefördert hätten, was zweifelsohne ein Verdienst der Theorien sei. Sie kritisiert indes, dass diese Teilhabeformate immer schon die Möglichkeit aktiver Bürgerschaft voraussetzten, eine Prämisse, die für die Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas wenn dann nur bedingt als gegeben angenommen werden könne. Aus dieser politisch-praktischen Erfahrung folgert sie die Notwendigkeit einer Anpassung der Demokratietheorie, die in der gegebenen Form nicht hinreichend die Spezifika der mittel- und osteuropäischen Systemtransformation abzubilden vermöge.

Demokratisierung schließlich ist Gegenstand des dritten Teils des Bandes. Pietrzyk-Reeves hebt darin noch einmal verstärkt auf das bereits angedeutete Dreiecksverhältnis von politischen und ökonomischen Institutionen auf der einen und zivilgesellschaftlicher Teilhabe auf der anderen Seite ab. Demokratisierung im Sinne der Etablierung einer nachhaltigen und umfassenden demokratischen Teilhabegesellschaft könne nur gelingen, wenn die Institutionen funktionierten und gleichsam eine aktive Bürgerschaft gegeben sei, die genau das einfordere oder überwache. Hieraus ergibt sich für sie ein Dilemma: Insofern beide Seiten das Funktionieren der anderen jeweils voraussetzen, kann beim Versagen einer der beiden Seiten – und im Falle der mittel- und osteuropäischen Transformationsprozesse war dies zumeist die Seite der Institutionen – der Demokratisierungsprozess kaum erfolgversprechend in Gang kommen.

Was folgt daraus nun für ein integriertes Konzept von Zivilgesellschaft, Demokratie und Demokratisierung? Ein solches Konzept, so Pietrzyk-Reeves, müsse – gerade wenn es gelte, die Systemtransformationen in Mittel- und Osteuropa in den Blick zu nehmen – verstärkt die „zivilgesellschaftliche Einheit“ (182) analysieren. Das wiederum bedeute, dass es in der Forschung weniger um elaborierte demokratietheoretische Konzepte, sondern vielmehr um empirische Zugänge zu den Bedingungen der Möglichkeit demokratischen Wandels gehen müsse: um soziale, kulturelle, politische, ökonomische und nicht zuletzt institutionelle Bedingungen. Auch wenn gerade im dritten Teil empirische Bezüge – zur Orangen Revolution in der Ukraine – deutlich werden, so fehlt es dem Buch doch an einer systematisch ausgearbeiteten Fallstudie, die die – theoretisch sehr elaborierte – Kritik und die daraus folgenden Konsequenzen einholen würde. Daran, dass eine Verzahnung von Theorie und Empirie erforderlich ist, wie die Autorin mit Blick auf die Weiterentwicklung von Theorie vehement fordert, besteht kein Zweifel.

Der Band beruht auf Artikeln, die Pietrzyk-Reeves im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit der vergangenen zehn Jahre an verschiedenen Stellen veröffentlicht und für diese Publikation umgearbeitet und aktualisiert hat.

 

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