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Benoît Hamon: Pour la génération qui vient

22.03.2017
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Autorenprofil
PD Dr. phil. Matthias Lemke
Éditions des Équateurs, Paris 2017

Plädoyer für eine Re-Politisierung. Die Vision des sozialistischen Kandidaten Benoît Hamon

 

Die wohl undankbarste Aufgabe in der anstehenden Präsidentschaftswahl hat Benoît Hamon, geboren 1967, übernommen. Als Nachfolgekandidat von François Hollande, der als erster amtierender Präsident der V. Republik nach einer ersten Amtszeit nicht wieder antritt, soll Hamon nicht nur die französische Sozialdemokratie zusammenhalten, sondern nach Möglichkeit beim Rennen um das höchste Staatsamt auch gut abschneiden – denn nach der Präsidentschaftswahl ist vor der Parlamentswahl. Mission impossible, finden viele Kommentatoren, wie etwa Bruno Gaccio. Wie alle führenden Kandidaten, so hat auch Hamon mittlerweile seine politische Vision in Buchform – „Pour la génération qui vient“ (Paris, Éditions des Équateurs 2017) – vorgelegt.

Es geht Hamon um Wandel und um Generationen. „Es hat sich etwas geändert“ (11) und „es muss sich etwas ändern“ und zwar im Sinne der „künftigen Generationen“ (126). Und etwas konkreter geht es dann in der Tat noch: ökologisch, demokratisch und sozial solle die künftige Welt sein, in der es zu lernen gelte, miteinander zu teilen. Wohlwollend solle diese Welt sein, die, nach den zurückliegenden Freiheitskämpfen der vorhergehenden Generationen, nun im Aufziehen begriffen sei. Hamon, so viel wird bei einem Blick in das ebenso dünne wie allgemein gehaltene Büchlein schnell deutlich, versucht sich nicht nur in klassisch sozialistischer Terminologie und Geschichtsphilosophie. Auch soll der Wandel, der kommen wird, ein möglichst breites Spektrum politisch kaum kontroverser Themen bedienen: „In diesem Sinne hat die Ankunft der VI. Republik bereits begonnen.“ (41)

Noch allerdings existiert die V. und für die sieht es nicht gut aus. Bereits bei der Präsidentschaftswahl 2012 hätten sich die Bürgerinnen und Bürger mehr soziale Gerechtigkeit und mehr politische Mitbestimmung gewünscht. Beide Wünsche seien unerfüllt geblieben, so Hamon in einem unverhohlenen Seitenhieb auf den aktuellen Amtsinhaber, der mit ihm in ein und derselben politischen Partei organisiert ist.

Unter Berufung auf die Theoretikerin Chantal Mouffe fordert Hamon eine Re-Politisierung Frankreichs. Diese müsse sich auf nationaler wie auf supranationaler Ebene vollziehen. Was zunächst die nationale Ebene anbelangt, so plädiert er für eine grundlegende Verfassungsreform: Einführung des Verhältniswahlrechts und eine Schwächung der politischen Position des Staatspräsidenten sind dabei nur zwei Aspekte. Dass es gerade das in Frankreich geltende Mehrheitswahlrecht ist, das – im Unterschied zur IV. Republik – stabile politische Verhältnisse ermöglicht und einen noch viel deutlicheren Aufstieg des rechtsextremen Front National im politischen Institutionengefüge verhindert hat, scheint da minder bedeutsam. Auf supranationaler Ebene plädiert Hamon eindeutig für einen Verbleib Frankreichs in der Europäischen Union (EU). Jedoch müsse sich diese für Abstimmungsprozesse deutlich demokratisieren. Demokratischer wäre die EU unter anderem dann, wenn sich die Euro-Staaten ein gemeinsames parlamentarisches Gremium geben würden. In diesem Gremium könne Deutschland mit dreißig, Frankreich mit fünfundzwanzig Abgeordneten vertreten sein. In welchem Verhältnis ein solches neu geschaffenes parlamentarisches Gremium zu den bestehenden Institutionen stünde, darüber äußert sich Hamon nicht. Nur so viel schient ihm sicher: „Deutschland, diese große parlamentarische Republik, kann der Demokratie nicht die Türe schließen“ (49) – warum auch immer sie das wollen sollte.

Während der politische Umbau der EU Zeit brauche, stehe Frankreich unter immensem sozialem und ökonomischem Druck, sodass hier schnelle Abhilfe gefordert sei. Vor diesem Hintergrund finden sich auch wirtschaftspolitische Überlegungen bei Hamon, darunter eine besonders bemerkenswerte Passage. Die Automatisierung der Produktion, so Hamon, schreite unaufhaltsam voran. Dabei würden kurz- bis mittelfristig insbesondere solche Aufgaben von Maschinen übernommen, die heute noch von einfach Qualifizierten wahrgenommen würden. Der Profit, der durch den Einsatz von Maschinen entstehe, komme jedoch nur einer kleinen Elite zugute, während weite Bevölkerungsgruppen künftig ohne angemessenes Jobangebot dastünden. Daher gelte es, so Hamons Forderung, „Roboter zu besteuern“, um dadurch „die Einkünfte, die durch Automatisierung erzeugt werden, an alle umzuverteilen“ (59).

Das also ist die Programmatik, die die französische Sozialdemokratie und ihren Kandidaten Hamon wählbar machen und zusammenhalten soll. Alles in allem geht es um die große Vision für Frankreichs Zukunft, für die Zukunft der kommenden Generationen – und bezeichnenderweise nicht so sehr um die der derzeit lebenden. Kurzfristige, interessen- und profitgeleitete Politik müsse aufhören, so Hamon. Das ist sicher nicht falsch – ob sich ein solcher Wandel jedoch auf Basis der von ihm unterbreiteten Vorschläge vollziehen wird, ist eine andere Frage.

 

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