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Lars Ostermeier: Imaginationen rechtsstaatlicher und demokratischer Polizei. Deutsche Polizeiprojekte in Afghanistan von 1957 bis 2010

20.07.2017
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Autorenprofil
Michael Rohschürmann
Weinheim, Beltz Juventa 2017 (Verbrechen &
Gesellschaft)

Wie lässt sich erklären, „dass die deutsche Polizei bereits seit dem Ende der 1950er-Jahre am Aufbau und an der Ausbildung der afghanischen Polizei beteiligt war, ohne dabei nennenswerte Erfolge vorzeigen zu können“ (11)? Bereits mit dieser Frage in der Einleitung wird deutlich, dass sich Lars Ostermeier kritisch mit dem Projekt des Polizeiaufbaus in Afghanistan, aber auch ganz allgemein mit den Erfolgen des Projektes Staatsaufbau Afghanistan auseinandersetzt. Dabei steht Ostermeier nicht allein. Er zitiert beispielsweise Katja Mielke und Conrad Schetter, die darauf verweisen, wie oberflächlich zehn Jahre deutscher Präsenz und Entwicklungszusammenarbeit den Nordosten Afghanistans verändert haben. Auch geht er auf das Buch „The Places in Between“ von Rory Stewart ein. Dieser stelle die Unterschiede in der Wahrnehmung der Realität zwischen der afghanischen Landbevölkerung und der Entwicklungscommunity in Kabul sehr plastisch dar. Den Hang internationaler Akteure, Modelle und Prinzipien moderner Nationalstaatlichkeit auf Afghanistan übertragen zu wollen, bezeichne Stewart als „‚unwiderstehliche Illusion‘“ (15).

In seiner Analyse arbeitet Ostermeier mit dem Konzept der Übersetzungsprozesse von Richard Rottenburg, das eher den performativen Charakter des Wissenstransfers in den Blick nimmt und nicht Modelle und Prinzipien, sondern Konstitution und Veränderung der betreffenden Polizeistrukturen betont. Es beschreibt, wie (beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit) über Metacodes eine objektivierte Darstellung und Bewertung internationaler Projekte geschaffen werden und eine Verständigung über eine weithin akzeptierte Realität ermöglicht wird. Dabei besteht indes das Problem darin, dass die Metacodes am Codesystem der Interventionisten gebildet werden und bisweilen nicht mit den Codes des Partnerlandes oder der Partnerorganisation übereinstimmen.

Auf den Aufbau der afghanischen Polizei übertragen bedeutet dies, dass die These einer unaufhaltsamen Globalisierung westlicher Polizeistandards in der Realität auf große Implementierungsprobleme stößt, dass aber bei Schwächen in der Zielerreichung ein Hinterfragen der Ausgangsprämissen mit dem Hinweis auf die Alternativlosigkeit des Projektes verhindert wird. Durch eine Anpassung einzelner Aspekte werde versucht, schreibt Ostermeier, einzelnen Symptomen zu begegnen, ohne das gesamte Projekt grundsätzlich neu auszurichten. Erschwert würden internationale Polizeiaufbauprojekte durch den Umstand, dass die Polizei die „meistbekannte und am wenigsten verstandene Institution“ (195) sei.

„Mit anderen Worten führt die Vorstellung der Globalisierung und Homogenisierung westlicher Modelle und Prinzipien demokratisch-rechtsstaatlicher Polizeiarbeit in transnationalen Polizeiprojekten dazu, dass transnationale Polizeiprojekte trotz ihres Scheiterns fortgesetzt werden.“ (16) Dabei schaffen die „Imaginationen rechtsstaatlicher und demokratischer Polizei einen in der Praxis und Forschung verbreiteten Glauben an die Notwendigkeit moderner Polizeiorganisationen [mit dem] die Vorstellung einher[geht], dass diese Organisationen durch externe Interventionen geschaffen werden können“ (194). Dieser Fehlschluss, so Ostermeier, liege in einer institutionenzentrierten und ahistorischen Auffassung von Polizei begründet und werde durch die Vorstellung aufrechterhalten, dass Modelle und Prinzipien demokratisch-rechtsstaatlicher Polizei durch internationale Polizeiprojekte in die Einsatzländer übertragen werden könnten. Der Transfer selbst sei ein einseitiger Sender-Empfänger-Prozess.

Dabei stellen sich dem Autor die internationalen Polizeiprojekte bei genauen Beschreibungen von Aufgaben und Tätigkeiten häufig als diffus dar, während sie auf die Darstellung einer Imagination von Polizei rekurrieren, die dann als alternativlos gekennzeichnet wird. Ausgeblendet werde ebenfalls häufig, dass im afghanischen Beispiel zwischenzeitlich eine Richtungsänderung in der Konzeption der Polizei – hin zu mehr Militarisierung und Unterstützung der NATO-Mission – vorgenommen worden sei. Dies habe indes zu einer zunehmenden Vernachlässigung des normativen Elements im Polizeiaufbau geführt – bei gleichzeitiger Vernachlässigung einer weitergehenden Beschäftigung mit dem politischen Charakter, den Polizeivorhaben immer aufweisen. In den entsprechenden Projekten wird die Polizei daher in erster Linie als technokratische und politisch neutrale Institution verstanden. Hieraus entstehe dann die Annahme, dass sich die erwünschten Ergebnisse automatisch einstellten, sofern genügend Ressourcen vorhanden seien.

„Die Übersetzungsprozesse reproduzieren Staatlichkeit durch die Verbreitung einer im Glauben an Legitimität und Überlegenheit der Modelle und Prinzipien begründeten Problematisierung Afghanistans.“ (197) Ostermeier beschreibt dies als „Faktizität der Imagination [...] mit der die empirische Realität der Projekte ersetzt wird [, wobei die] sozialen und politischen Folgen der Polizeiprojekte, insbesondere gewaltsame Auseinandersetzungen in Afghanistan [...] durch die Übersetzungsprozesse aus den offiziellen Darstellungen verdrängt“ (196) würden. Aus den vom Autor geführten Experteninterviews ergibt sich die Erkenntnis, dass zur Erreichung der selbst gesteckten Ziele maßgebliche Voraussetzungen in Afghanistan nie erfüllt waren: Dazu zählen ein Mindestmaß an politischer Stabilität und sozialer Ordnung, funktionierende bürokratische Strukturen und qualifiziertes Personal zur Ausbildung.

Ostermeier sieht die lange Geschichte der deutsch-afghanischen Polizeiprojekte als Partnerschaft, in der beide Seite unterschiedliche Ziele verfolgten. Vor diesem Hintergrund beschreibt der Autor auch die Problematik, dass die Imagination von der Funktionalität der Polizeiprojekte in Verbindung mit der schwierigen Messbarkeit der Erfolge dazu führe, dass eine öffentliche und parlamentarische Kontrolle kaum möglich sei. Insgesamt kommt Ostermeier zu dem Schluss, dass weitaus mehr Studien im Feld internationaler Polizeiprojekte im Allgemeinen und deutscher internationaler Polizeiprojekte im Besonderen notwendig seien, um von Imaginationen zu besser geplanten Projekten kommen zu können.

Seine Analyse ist aber nicht nur vor dem Hintergrund der eingangs zitierten Fragestellung lesenswert. Seine Ergebnisse können durchaus auch als Kritik an Entwicklungsmodellen allgemein und dem immer wieder beschworenen Zusammenhang zwischen Entwicklung und Stabilität gelesen werden. „Der jahrelange Streit über die Fortsetzung der deutsch-afghanischen Polizeikooperation und über die Möglichkeiten der Stabilisierung Afghanistans durch Polizeihilfe zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium andererseits verweist auf die konzeptionellen und praktischen Schwierigkeiten, einen Zusammenhang von Sicherheit und Entwicklung nachzuweisen und durch Polizeiprojekte zu operationalisieren.“ (199)

 

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