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Integrationspolitik in Deutschland im Spiegel der Literatur. Ausgewählte Kurzrezensionen

27.07.2017
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Autorenprofil
Sabine Steppat, Dipl.-Politologin

Integration Puzzle PixabayFoto: Pixabay

 

Einen Überblick über die Geschichte der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland verschafft der Band Deutschland Einwanderungsland. Darin wird über die Anwerbeabkommen informiert, die im Zeitraum zwischen 1955 und 1968 mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, mit Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien geschlossen wurden und in deren Folge die ausländische Erwerbsbevölkerung stark wuchs. Vom Ende der 1950er-Jahre bis zum Anwerbestopp 1973 seien rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen. Wie die Zuwanderungsdiskussion im Zeitraum 1998 bis 2002 verlief, zeichnet Matthias Hell nach. Er skizziert die wesentlichen Entwicklungslinien, geht auf die Akteure und ihre diskursiven Handlungsstrategien im Bereich der Einwanderungspolitik ein. Die Zuwanderungsprozesse nach Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergleicht Sebastian Ennigkeit in seiner Masterarbeit Gelungene Integration mit denen in den Niederlanden. Dabei zeigt er Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der staatlichen Einwanderungs- und Integrationspolitik auf.

Auch Matthias Kortmann blickt in vergleichender Perspektive auf die deutsche beziehungsweise niederländische Integrationsdebatte, indem er die jeweiligen Kontextbedingungen von Migrantenselbstorganisationen untersucht. Während sich die überwiegend muslimischen Organisationen in Deutschland vor allem als Religionsgemeinschaften definieren, die durch das deutsche Religionsverfassungsrecht Privilegien genießen, bezeichnen sich die Pendants in den Niederlanden eher als sozial-kulturelle Organisationen, um von der niederländischen Minderheitenpolitik zu profitieren. Diese fördere die ethnisch-kulturellen Gruppen. Dabei sei deutlich geworden, dass sich die beiden Widerparte in den zurückliegenden Jahren zwar immer stärker anglichen. In Deutschland jedoch habe man sich zunehmend offener gegenüber den verschiedenen Modellen erfolgreicher Integrationspolitik gezeigt, in den Niederlanden sei die finanzielle Unterstützung weitestgehend gestrichen worden.

Ein ähnliches Thema wählt Handan Aksünger, der alevitische Migrantenselbstorganisationen und die zivilgesellschaftliche Integration in Deutschland und den Niederlanden vergleicht. Am Beispiel der Aleviten zeige sich, so Aksünger, dass die Renaissance der Religion in postsäkularen modernen Gesellschaften wie in Deutschland und den Niederlanden nicht notwendigerweise als Hemmnis, sondern als Ressource für den Integrationsprozess gesehen werden könne.

Nach der Funktion und Reichweite der Deutschen Islam Konferenz (DIK) und ihren Implikationen für die Integrationspolitik in Deutschland fragt Marcel Klinge und bescheinigt der DIK ein „Output-Defizit“, weil sie eher Absichtserklärungen denn konkrete Gesetze oder politische Maßnahmen hervorgebracht habe. Jedoch habe die DIK einen „hohen appellativen Symbolwert“. Aber stellt sie ein Forum der politischen Repräsentation und Partizipation von Zuwanderern dar?

Diese bieten die auf kommunaler Ebene angesiedelten Ausländer‑ beziehungsweise Integrationsbeiräte. Sie tragen einerseits zu einer besseren Inklusion und „thematischen Erweiterung der Agenden“ bei, so Christiane Bausch, andererseits bestärke die Gruppenrepräsentation tendenziell „ein identitätslogisch verkürztes Repräsentationsverständnis“. Die These, dass die Integrations- und Ausländerbeiräte auf kommunaler Ebene keine hinreichende Beteiligung von nach Deutschland eingewanderten Menschen gewährleisten, wird in dem von Susanne Stemmler edierten Band „Multikultur 2.0“ vertreten. Für deren Teilhabechancen wirke sich das nicht vorhandene Wahlrecht negativ aus. Auch Hakkı Keskin kritisiert, dass in Deutschland lebenden Migrant*innen das kommunale Wahlrecht verwehrt bleibe, obwohl die skandinavischen Länder dies bereits seit den 1980er-Jahren gewährten, und beklagt insgesamt mangelnde Partizipationschancen von Zugewanderten in Deutschland.

In seiner Habilitationsschrift fragt Markus Linden, wann politische Repräsentation möglichst inklusiv ist und entwirft eine eigene Repräsentationstheorie, die auf Überlegungen pluralistischer und argumentativer Ansätze zurückgreift. Diese überprüft er am Beispiel der deutschen Integrationspolitik seit 1998. Es wird deutlich, dass die „Demokratie mit Parlaments- und Parteiendominanz“ die für Migranteninteressen leistungsstärkste Repräsentationsform darstellt.

Wie hoch die Bedeutung der kommunalen Ebene für die Integration ist, verdeutlichen zwei Sammelbände: Die Bertelsmann Stiftung benennt zehn Erfolgsfaktoren für eine kommunale Integrationspolitik und auch Frank Gesemann sowie Roland Roth konstatieren eine „beispiellose Dynamik und Aufwertung“ dieser. In der Kommune fokussiere sich die Integrationsdebatte auf konkrete Maßnahmen und Handlungsspielräume, die in der abstrakten Diskussion um Schlagwörter wie Leitkultur oder Parallelgesellschaft aus dem Blick zu geraten drohten.

In dem von Matthias Knuth herausgegebenen Band Arbeitsmarktintegration und Integrationspolitik – zur notwendigen Verknüpfung zweier Politikfelder. Eine Untersuchung über SGB II-Leistungsbeziehende mit Migrationshintergrund wird darauf hingewiesen, dass die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Migrationshintergrund deutlich schlechter sind als die der einheimischen Bevölkerung. Mit der Einführung des Sozialgesetzbuches II ist demnach die unzureichende Erwerbsintegration von Migrant*innen noch sichtbarer geworden, weil in der seit 2005 geltenden Grundsicherung für Arbeitssuchende auch Personen erfasst sind, die zuvor nicht arbeitslos gemeldet waren. Dieses Phänomen war Gegenstand des Projektes „Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund“, in dem es unter anderem um Zugangschancen von Migrant*innen zu den unterschiedlichen Leistungsarten ging: Die Konstruktion des SGB II als Leistungssystem für Erwerbsfähige berücksichtigt immer noch nicht angemessen, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist. Deshalb fordert der Herausgeber, dass die Grundsicherung weiterentwickelt und Bestandteil nationaler Integrationspolitik werden sollte, „anstatt sie lediglich als ‚Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose' und damit als ‚Souterrain' der Arbeitsverwaltung zu sehen".

Das 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz wird insgesamt als Fortschritt betrachtet, da Integration endlich als wichtige Zukunftsaufgabe erkannt ist, so der Tenor des von Marianne Krüger-Potratz edierten Sammelbandes. Auf Kritik stößt ein nach wie vor tradiertes völkisches Staatsverständnis der Deutschen, stattdessen wird für eine Abkehr von diesem Staatsverständnis und die Hinwendung zu den Prinzipien eines demokratischen Verfassungsstaates plädiert, der sich als Staatsbürgernation versteht.


Die Titel im Überblick:















 

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