Alexander Kühn: Christlicher Extremismus in Deutschland. Das Verhältnis der Partei Bibeltreuer Christen, Christliche Mitte, Priesterbruderschaft St. Pius und Zeugen Jehovas zum demokratischen Verfassungsstaat
11.12.2017Gibt es neben der Gefahr, die von islamistischen Gruppen für den demokratischen Verfassungsstaat ausgeht, noch andere, insbesondere christlich motivierte extremistische Gruppierungen, die der Demokratie kritisch bis feindlich gegenüber stehen? Christliche Gruppierungen – so Alexander Kühn in seiner Dissertation, die bei Eckhard Jesse an der TU Chemnitz entstanden ist – finden in der deutschen Extremismusforschung nur wenig Aufmerksamkeit, was „dem Potential ihrer Glaubensinhalte, vor allem mit Blick auf das Verhältnis zur Demokratie“ (13) nicht gerecht wird. Die Kernfrage der Arbeit lautet daher: „Welchen Grad der Extremismusintensität weisen die untersuchten Gruppierungen auf? [...] Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten treten mit Blick auf Organisation, Ideologie, Strategie (Gewalt- und Kooperationsbereitschaft) zwischen den untersuchten Gruppen auf? Ziel ist die Einordnung in eine von drei Kategorien: ‚extremistisch‘, ‚semi-extremistisch‘ oder ‚nicht-extremistisch‘ sowie der Vergleich der Gruppen untereinander.“ (13)
Der Autor versteht Religion als Ideologie. Sie tendiere per se zu so etwas Gefährlichem wie Wahrheits- und Missionsanspruch, sie inkludiere durch Exklusion und vertrete einen dogmatischen Absolutheitsanspruch. Jede Ideologie (insbesondere die der religiösen Extremisten), „die ihre Legitimität aus einem höheren Wesen bezieht und ihre Ansichten in der Gesellschaft etablieren will, [stellt] eine Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat [dar]“ (15).
Nachdem Kühn zunächst den begrifflich-theoretischen Bezugsrahmen – Extremismus, Radikalismus, Terrorismus, Fundamentalismus – skizziert, werden die einzelnen Gruppierungen auf ihre Ideologie, Strategie (Gewalt, Zusammenarbeit) und Organisation hin geprüft und abschließend „klassifiziert“.
Das Ergebnis ist so vorhersehbar wie religionssoziologisch (und religionsgeschichtlich) unhaltbar: „Eine Bedrohung für den demokratischen Verfassungsstaat geht nicht nur von denjenigen Glaubenssystemen aus“, schreibt der Autor, „die Gewalt anwenden – vielmehr bietet jedes Glaubenssystem, das auf einer fiktiven Gestalt beruht und das Gesetze und Werte oktroyiert, die Gläubige unreflektiert aufnehmen, die Gefahr der Verführung des Geistes. Zum Schutz der demokratischen Werte ist es notwendig, sich religiösen Vereinigungen ganzheitlich anzunehmen, die sich im Namen der ‚Wahrheit‘ der Missionierung verschrieben haben.“ (313) Bedeutet dies also ein Religionstribunal? Robespierre gegen Danton? Eine Erziehung, „frei von ideologischen und religiösen Zwängen“, wie der Verfasser in seiner Danksagung schreibt? Aber: Ist die Tatsache, dass Vernunft und Demokratie ihre eigene Glaubens- und Missionsgeschichte haben – zum Beispiel die Entwicklungspolitik der 1970er-Jahre – inzwischen völlig unbekannt? Liegen die wirklichen „Probleme“ nicht eher aufseiten des deutschen staatskirchlichen Modells als aufseiten einer klaren Trennung zwischen Staat und Kirchen? Und: Darf man nicht Katholik sein, weil die eigene Kirche nicht „demokratisch“ ist?