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Alexander Grasse / Markus Grimm / Jan Labitzke, Jan (Hrsg.): Italien zwischen Krise und Aufbruch. Reformen und Reformversuche der Regierung Renzi

15.01.2018
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Autorenprofil
Dr. Sven Leunig
Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2018

Bei der Lektüre dieses Sammelbandes über die „Ära Renzi“ fragt man sich unwillkürlich, ob man schon die Zusammenfassung einer bereits abgeschlossenen, sehr kurzen Periode in der Geschichte Italiens liest oder ob die Regierungszeit Matteo Renzis von 2014 bis 2016 nur ein erster Akt war, dem noch weitere folgen. So werden erst die nächsten Jahre (und Jahrzehnte?) zeigen, ob der junge, quirlige Florentiner ebenso wie sein Pendant auf der rechten Seite des politischen Spektrums, Silvio Berlusconi, einen dauerhafteren Einfluss auf die Entwicklung dieses südlichen EU-Landes hat. Vor allem in letzterem Falle wäre die Lektüre dieses sehr umfang- und inhaltsreichen Sammelbandes von Interesse, würde es doch zeigen, mit welcher Art von Reformen Renzi in seiner – dann – ersten Regierungszeit gestartet ist.

Die 16 Einzelbeiträge des Buches, eingerahmt von zwei einleitenden beziehungsweise zusammenfassenden Artikeln der drei Herausgeber, bilden alle wesentlichen Bereiche der italienischen Politik ab, geordnet in die drei Perspektiven der polity, politics und policy. Zentrales Thema aller Beiträge, auch wenn dies nur im Titel des ersten Abschnitts explizit benannt wird, sind die Versuche Renzis, der Krise Italiens Herr zu werden. Entsprechend sind die einzelnen Artikel denn auch eher deskriptiv-analytisch angelegt, was bei einem Buch, das binnen eines Jahres nach dem Rücktritt Renzis im Dezember 2016 publiziert wurde, auch nicht anders zu erwarten ist. Die Einschätzungen über den Erfolg beziehungsweise die Wirkung seiner Reformen gehen zwischen den Autoren – je nach Perspektive – durchaus erkennbar auseinander. Silvia Bolgherini beispielsweise kommt in ihrem Beitrag über die politischen Entwicklungen der zweijährigen Regentschaft Renzis zu dem relativ harten Schluss: „Nach dem jäh gescheiterten Referendum über die Verfassungsreform scheinen die ‚Ära Renzi’ und die Reformen seiner Regierung nichtsdestoweniger so schnell untergegangen zu sein, wie sie begonnen hatten“ (54). Dagegen stellt Alexander Grasse aus dem Blickwinkel der deutsch-italienischen Beziehungen fest: „Jenseits der Verfassungsreform sind tatsächlich zahlreiche andere Reformen umgesetzt“ worden, „die (außer dem sogenannten JobsAct) jedoch weniger im Fokus der internationalen Öffentlichkeit gestanden haben“ (476). Genannt seien hier nur seine Reformen im Bereich des Straf- und Zivilrechts und bei der Korruptionsbekämpfung. Allerdings, und das stellt wohl auch die wenig überraschende Quintessenz aller anderen Beiträge dar, sei etwa bei der Korruptionsbekämpfung noch völlig offen, ob die mit viel Verve formulierten Normen tatsächlich Änderungen herbeiführen können, so Enrico Carloni in seinem diesbezüglichen Artikel (382 f.).

Bei etlichen der Autoren ist folglich eine gewisse Skepsis über die tatsächlichen Chancen seiner Reformen herauszulesen – die zweifellos vor allem davon beeinflusst werden, ob Renzi bei den Wahlen 2018 erneut reüssieren kann. Denn, und das machen alle Autoren deutlich, die bisherigen Reformen sind nur Stückwerk, erste Ansätze, und über ihnen allen schwebt das Menetekel der gescheiterten Senatsreform von 2017. Renzi hatte bekanntlich nicht zufällig gerade mit dieser sein politisches Schicksal verbunden – wollte er doch als rottamatore („Verschrotter“) auch den „perfekten Bikameralismus“ Italiens auf die Müllhalde der Geschichte werfen, was das Volk ihm zunächst einmal ebenso verwehrte wie das Verfassungsgericht ihm einen Strich durch seine Wahlrechtsreform machte. Insofern ist klar, dass es auch eine mögliche neue Regierung Renzi mit den alten Vetospielern zu tun haben wird. Gleichwohl, und das macht etwa der sehr ausführliche Beitrag von Grasse über die Wirtschafts- und Sozialpolitik (mit Fokus auf die europäische Ebene) deutlich, hat sich die ökonomische und fiskalische Situation Italiens während der Regierung Renzi (und seiner beiden Vorgänger) durchaus gebessert und sich aus ihrem „Krisenmodus“ ein Stück weit herausbewegt. Insofern hat Renzi mit einer erkennbaren Absenkung der Arbeitslosigkeit sowie einer Stabilisierung des Bruttosozialproduktes und der Staatsverschuldung bereits jetzt faktische Erfolge erzielt.

Die Beiträge des Sammelbandes, etwa je zur Hälfte auf Deutsch und Englisch geschrieben, sind in unterschiedlicher Dichte quellengesättigt, alles in allem aber wohl als gut fundiert zu bewerten. Sie setzen allerdings, und das ist trotz des Fokus auf die Reformen Renzis etwas zu bemängeln, ein gutes Maß an Vorkenntnissen über die Ausgangslage seiner Regierung voraus. Hier wäre an der einen oder anderen Stelle – etwa hinsichtlich der Korruption – interessant, warum diese jedenfalls in der Perzeption der Bevölkerung im Vergleich insbesondere zu den nordeuropäischen Staaten so überdurchschnittlich hoch ist, um als Leser besser einschätzen zu können, wie wahrscheinlich eine Besserung der Lage aufgrund der Reformen der Regierung Renzi ist. Abgesehen davon ist dieser Sammelband aber zweifellos für jeden, der sich mit der politischen Gegenwart Italiens befassen möchte, mit Gewinn zu lesen.

 

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