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Anreize für den Nachwuchs in Vereinen. Zur Stärkung des Ehrenamts in der Musik

18.12.2017
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Autorenprofil
Susanne Dengel, Dipl. Kulturwissenschaftlerin

BAT20150611 400a 600x400Weiterbildungsmaßnahmen zur Stärkung des Ehrenamts. © Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen (N. Pudimat)


1. Einleitung

„Wir brauchen die Jugend für das bürgerschaftliche Engagement. Und sie leistet jetzt schon so viel“, so Bundesministerin Dr. Katarina Barley bei ihrer Eröffnungsrede des 2. Deutschen EngagementTages am 5./6. Dezember 2017 in Berlin. Im Anschluss an ihre Rede wurde der neue Imagetrailer „Du bist unersetzlich“ präsentiert, der neben anderen Engagementfeldern auch der Musik gewidmet ist. Zu sehen ist ein junger Mann, der voller Elan ein Jugendorchester dirigiert. Doch wie steht es denn um die Jugend in diesem Engagementfeld? Gibt es ein Nachwuchsproblem, so wie man es von vielen Vereinen kennt? Um die Beantwortung dieser und weiterer Fragen geht es in diesem Beitrag. Außerdem wird am Beispiel der Angebote der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen gezeigt, wie den aktuellen Herausforderungen begegnet werden kann. Seit 2016 unterstützt die Bundesakademie in vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten Modellprojekten Ehrenamtliche in der Musik. Die Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) ist Initiator und Partner der Projekte.

2. Das Engagementfeld der Musik

In Deutschland gibt es rund 90.000 Musikvereine und Chöre.1 Die Vereine sind eine wichtige Ressource für die Demokratie, denn in ihnen werden Teilhabe, Gemeinschaft und gesellschaftliche Verständigung praktiziert. Dies gilt gerade im ländlichen Raum, wo oftmals andere Kulturformate fehlen. Für das Funktionieren der Musikvereine und Chöre ist die Arbeit vieler ehrenamtlicher Kräfte unentbehrlich. Sie organisieren Proben und Konzerte, schreiben Pressemitteilungen und gestalten Flyer, zeichnen sich verantwortlich für die Einhaltung rechtlicher Standards und tun vieles mehr, um das Vereinsleben attraktiv zu gestalten. Nicht zuletzt schaffen sie so für viele Kinder und Jugendliche in Deutschland einen wichtigen und prägenden Ort.

Das Engagement in Deutschland lässt sich anhand des Freiwilligensurveys 2014 nachvollziehen2, für den Bereich der Kultur und Musik hat die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ) eine Sonderauswertung veröffentlicht.3 Für das Verständnis der Studie ist es wichtig zu wissen, dass sich der Musikbereich nicht isoliert betrachten lässt, sondern sich die Zahlen stets auf das größere Engagementfeld der Kultur und Musik beziehen. Außerdem lohnt sich ein Blick auf die der Studie zugrunde gelegten Begrifflichkeiten. So ist im Freiwilligensurvey vom freiwilligen Engagement die Rede, wenn es um ein individuelles Handeln geht, das freiwillig, unentgeltlich, öffentlich und gemeinschaftlich ausgeübt wird. Bei dem ehrenamtlichen Engagement, das durch die Übernahme eines gewählten Amts zustande kommt, handelt es sich demnach um einen kleineren Teilbereich innerhalb des freiwilligen Engagements. Ein gewähltes Amt im Engagementfeld der Musik ist zum Beispiel der Vorsitz in einem Musikverein oder das Amt der Schriftführerin in einem Chor. Als freiwillig engagiert kann hingegen jemand gelten, der ohne Amt bei einer Konzertreihe mitwirkt oder den Social-Media-Auftritt mitgestaltet.

Nach Angaben der Sonderauswertung handelt es sich bei dem Engagementfeld der Kultur und Musik um den drittgrößten Bereich, der zudem seit 1999 weiter an Bedeutung gewonnen hat. So ist der Anteil der Kultur-Engagierten an der Wohnbevölkerung zwischen 1999 und 2014 von fünf Prozent auf neun Prozent angestiegen. Betrachtet man die Motive für ein Engagement, so ergeben sich hier kaum Unterschiede zu den Motiven in anderen Bereichen. Das Hauptmotiv für ein Engagement ist Spaß (85 Prozent). Weitere Motive sind der Wunsch, die Gesellschaft mitzugestalten (67 Prozent), mit anderen Generationen (65 Prozent) und mit anderen Menschen zusammenzukommen (65 Prozent). Die Motive, Qualifikationen zu erwerben (34 Prozent) und beruflich voranzukommen (14 Prozent), sind im Vergleich dazu weniger relevant.

Die Altersstruktur des Engagementfelds Kultur und Musik unterscheidet sich von anderen Bereichen. Denn insgesamt sind hier eher ältere als jüngere Menschen engagiert. So sind nur rund 20 Prozent der Engagierten zwischen 14 und 29 Jahre. 31 Prozent sind zwischen 30 und 49 und 28 Prozent sind zwischen 50 und 64 Jahre alt. Diejenigen, die 65 Jahre oder älter sind, machen noch 21 Prozent aus. Zwar sind junge Menschen in Vereinen als Mitglieder und freiwillig Engagierte durchaus präsent, in die ehrenamtlichen Leitungspositionen sind sie jedoch weniger eingebunden.4 Ähnlich verhält es sich in den rund 90.000 Musikvereinen und Chören. Ursächlich dafür ist unter anderem, dass junge Menschen heute mobil leben und durch Schule und Ausbildung sehr ausgelastet sind.5 Für die Zukunftsfähigkeit der Vereine spielt das Thema Nachwuchs im Ehrenamt demnach eine wichtige Rolle.

Kennzeichnend für das Engagementfeld der Kultur und Musik ist außerdem, dass formal niedrig gebildete Menschen weniger stark vertreten sind als im gesellschaftlichen Durchschnitt. Erwerbslose, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund sind ebenfalls unterrepräsentiert. Außerdem sind Frauen auf Leitungs- und Vorstandsposten weniger stark vertreten. Dies ist umso bemerkenswerter, da Frauen in diesem Engagementfeld mit 53 Prozent grundsätzlich in hohem Maße repräsentiert sind.

3. Angebote der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen

Ausgehend von diesen Befunden setzt sich die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen seit 2016 in Kooperation mit der Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) für die Stärkung der ehrenamtlichen Strukturen in der Musik ein. Im Besonderen geht es darum, Musikvereine und Chöre gerade mit Blick auf ihre Bedeutung für Kinder und Jugendliche zukunftsfest zu machen. Im Juni 2016 lud die Bundesakademie gemeinsam mit der BDO zu einer Netzwerkveranstaltung zum ehrenamtlichen Engagement in der Musik ein. Der Einladung folgten mehr als 60 Vertreter*innen von Vereinen und Verbänden aus dem gesamten Bundesgebiet. Im Rahmen eines World-Cafés wurden die Teilnehmer*innen nach den größten Herausforderungen befragt, mit denen sich Vereine heute konfrontiert sehen. Diskutiert wurden zudem mögliche Lösungen und die Erwartungen an Qualifizierungsmaßnahmen im ehrenamtlichen Bereich.

Vier zentrale Ergebnisse lassen sich aus dieser Bedarfsabfrage ableiten: 1. Sowohl bei Musikvereinen und Chören als auch bei den Amateurmusikverbänden besteht bundesweit ein hohes Interesse an Weiterbildungsmaßnahmen. 2. Zu den Herausforderungen, mit denen sich Vereine konfrontiert sehen, zählt insbesondere die Nachwuchssuche für das Ehrenamt. 3. Die Anforderungen an das Know-how von Ehrenamtlichen sind groß. Unterstützungsbedarfe meldeten die Teilnehmer*innen in den Bereichen Projektmanagement, Rechtsfragen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation und Konfliktmanagement sowie in Fragen der Finanzierung an. 4. Die Amateurmusikverbände, die die Vereine in all diesen Fragen unterstützen, profitieren vom Austausch untereinander und stufen das Nachwuchsthema als zentral ein.

Auf der Grundlage dieser Bedarfsanalyse hat die Bundesakademie zwei Weiterbildungsformate konzipiert: Die viertägige Weiterbildung zu „Vereinspilot*innen“ richtet sich an aktuelle und angehende Vorstände von Musikvereinen und Chören. An vier Tagen vermitteln Expert*innen aus der Praxis alle Themen rund um ein modernes Vereinsmanagement. Die dreitägige Weiterbildung zu „Verbandspilot*innen“ richtet sich insbesondere an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen von instrumentalen und vokalen Amateurmusikverbänden auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Die Weiterbildungen stoßen bundesweit auf ein großes Interesse und belegen, dass die Qualifizierung für das Ehrenamt von hoher Bedeutung ist.

Die Weiterbildungen versetzen die Teilnehmer*innen unter anderem in die Lage, eine strategische Nachwuchssuche und -sicherung zu betreiben. Empfohlen wird zum Beispiel, die Neubesetzung eines Vorstandsamts frühzeitig in Angriff zu nehmen und nicht erst dann zu thematisieren, wenn sie kurz bevorsteht. Bei der konkreten Suche können Stellenbeschreibungen für Transparenz sorgen. Die Aufgaben sollten mit Blick auf die Motive für das Engagement so gestaltet werden, dass sie dem/der Einzelnen auch Freude machen und er oder sie Gestaltungsmöglichkeiten erhält. Die Vereine werden außerdem angeregt, auch die gesellschaftlichen Gruppen, die im Engagementfeld bislang unterrepräsentiert sind, stärker in den Blick zu nehmen.6

Neben den Weiterbildungen entwickelte die Bundesakademie weitere kostenfreie Unterstützungsformate: Für Vereine und Verbände stellt sie zum Beispiel ein Papier mit „12 Impulsen zur erfolgreichen Vereinsarbeit“ zur Verfügung. Thematisch geht es darum, zukunftsfeste Vereinsstrukturen aufzubauen, Abläufe zu optimieren und Nachwuchs für die Ämter zu finden.

4. Zusammenfassung und Ausblick

Die rund 90.000 Musikvereine und Chöre in Deutschland leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag und deshalb gilt es, sie auch zukünftig zu unterstützen. Wie in diesem Artikel am Beispiel der Angebote der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen gezeigt wurde, ist Weiterbildung eine Möglichkeit der Förderung. Diese setzt direkt bei den Engagierten vor Ort an und ermöglicht es ihnen, die anstehenden Zukunftsaufgaben noch besser zu bewältigen. Die Möglichkeit, sich weiterzubilden, kann zudem die Übernahme eines Ehrenamts attraktiver machen, wenn sie als eine Form der Anerkennung wahrgenommen wird. Dies gilt umso mehr für Jugendliche und junge Erwachsene, die ein hohes Interesse an Qualifizierung haben. Um Anerkennung geht es auch in der eingangs erwähnten Kampagne „Du bist unersetzlich“. Allein am ersten Tag erreichte der Imagefilm rund 20.000 Aufrufe – tausende Menschen im Land haben so den jungen Mann gesehen, der voller Elan den Jugendchor dirigiert.

__________________

1 Vgl. http://miz.org/downloads/statistik/49/49_Laienmusizierenstatistik_2016.pdf (Stand: 5.12.2017)
2 Simonson, J., Vogel, C. & Tesch-Römer, C. (Hrsg., 2016): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2014. Berlin, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
3 Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (Hrsg., 2017): Freiwilliges Engagement in der Kultur. Sonderauswertung des Freiwilligensurveys 2014. Berlin, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.
4 Alscher, M. (2017): Zivilgesellschaftliche Organisationen ohne Jugend? Eine organisationsbezogene Betrachtung zum Engagement junger Menschen. Maecenata Schriften 13. Berlin/Boston.
5 Picot, S. (2012): Jugend in der Zivilgesellschaft. Freiwilliges Engagement Jugendlicher im Wandel. Gütersloh.
6 Dengel, S. (2017): Die Bedeutung von Weiterbildung im Ehrenamt wächst. In: Ehrenamtliches Engagement in der Musik. Aktuelle Handlungsfelder und zukunftsweisende Impulse. Schriftenreihe der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen 31. Trossingen, Bundesakademie für musikalische Jugendbildung.

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Literaturhinweis

Alscher, Mareike
Zivilgesellschaftliche Organisationen ohne Jugend? Eine organisationsbezogene Betrachtung zum Engagement junger Menschen
Berlin, De Gruyter Oldenbourg 2017


Weitere Informationen

Der EngagementTag
Um den zentralen Stellenwert des freiwilligen Engagement für eine demokratische Gesellschaft sichtbar zu machen, haben das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den EngagementTag ins Leben gerufen. Unter dem Motto „Engagement.Vielfalt.Demokratie“ wurde er vom 5. bis 6. Dezember 2017 zum zweiten Mal veranstaltet.

 

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ):
„Du bist unersetzlich“
Der in der Einleitung erwähnte Kinotrailer ist auch auf YouTube zu sehen.

 

Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen
Die Webseite der Bundesakademie bietet ausführliche Informationen zu ihrem Weiterbildungsprogramm, darunter auch zu den beiden Projekten VerbandspilotInnen und VereinspilotInnen.



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