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Kerry Brown: Die Welt des Xi Jinping. Alles, was man über das neue China wissen muss

31.01.2019
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Autorenprofil
Dr. Johannes Mohr
Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 2018

„Der Totalitarismus-Ansatz geht davon aus, dass es sich bei dem zu untersuchenden Objekt […] um eine politische Ordnung handelt, in der die politische Willensbildung von oben oktroyiert, der Pluralismus eng begrenzt und die Ideologisierung stark ausgeprägt ist. Maßstab der Beurteilung könne nur das Modell des demokratischen Verfassungsstaates sein. Hingegen will die systemimmanente Methode sich an den Kriterien orientieren, die das System zur Richtschnur seines Handelns erhebt. Es soll geprüft werden, ob die Praxis den eigenen Maximen entspricht.“1 Kerry Browns 2018 veröffentlichtes Buch The World According to Xi (London, I.B. Tauris Publishers), in deutscher Übersetzung unter dem Titel Die Welt des Xi Jinping erschienen, lässt sich als „systemimmanenter Erklärungsversuch“ der Ideen und des Handelns Xi Jinpings sowie des gegenwärtigen Chinas bezeichnen. Der Leser darf von diesem Büchlein also keine kritische Besprechung der chinesischen Regierungspolitik oder der neuen Ideologisierung in Form der „Gedanken Xi Jinpings“ erwarten. Der Sinologe und Professor am King’s College London Brown bietet hingegen eine Interpretation von Xi Jinpings Handlungsmotiven und einen entsprechenden Erklärungsversuch seiner Politik. Folgende Fragen leiten hierbei durch das Buch: Wer ist Xi und was will der neue starke Mann in Beijing? Welche Herausforderungen stellen sich für den Staatsmann Xi und welche Erfolge kann er vorweisen?

Als eine der signifikantesten Veränderungen sieht Brown die Personalisierung der chinesischen Politik. Die propagandistische Hervorhebung der persönlichen Geschichte Xis, der während der Kulturrevolution in ein Dorf geschickt die ländliche Armut kennenlernte, stelle einen radikalen Bruch zur Präsentation von Xis Amtsvorgänger Hu Jintao dar, der quasi „aus dem Nichts“ gekommen sei und bei dem selbst über den Geburtsort Unklarheit geherrscht habe. Dies bedeute jedoch nicht, dass Xi eine auffällige Laufbahn durch die Organisationen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) oder die Institutionen des chinesischen Staates durchlaufen habe. Ganz im Gegenteil sei die Wahl Xi Jinpings zum neuen Generalsekretär der KPCh 2012 ein „Sieg der Vorsicht“, also geradezu typische Parteiroutine, gewesen. Der gewöhnungsbedürfte Personenkult um Xi, bei dem teilweise offensichtliche Parallelen zu Mao Zedong gezogen werden, stelle jedoch ein Novum und eine Abkehr von dem bislang im Politbüro gepflegten Grundsatz dar, dass der Generalsekretär der Erste unter Gleichen sei. Xi, und dies ist laut Brown nicht absehbar gewesen, habe sich ohne Zweifel eine Sonderstellung erkämpft.

In der Innenpolitik Xi Jinpings, der 2013 auch Staatspräsident wurde, verortet Brown dabei einen grundlegenden Widerspruch: Er sei zwar mit dem Ziel angetreten die Politik vorhersehbarer, sprich verlässlicher, zu machen sowie die Institutionen (Stichwort „Rechtsstaatlichkeit“) zu stärken, um politischer Willkür und der Korruption Einzelner vorzubeugen. Durch den personalisierten Politikstil und die Art und Weise, wie Xi Politik betreibe, stehe er jedoch für das genaue Gegenteil. Abschließend kommt Brown zu dem Fazit, dass Xis einzige Aufgabe aktuell sei, die bis dato erfolgreiche Entwicklung der Volksrepublik „nicht kaputt“ zu machen. Denn es stehen wichtige Jubiläen in der VR China an, wie der 100. Geburtstag der KPCh, die mit dem Erreichen von politischen Zielen, wie der Schaffung einer Gesellschaft mittleren Wohlstands bis 2021, gefeiert werden sollen.

Allerdings, so mahnt Brown an, werde gerade im Ausland oft vergessen, dass auch enorm mächtig erscheinende Politiker in China sich auf eine Organisation stützen müssen: die Kommunistische Partei Chinas. Xi sei dies – verständlicherweise – von Beginn an bewusst gewesen, wie seine Antrittsrede 2012 deutlich gemacht habe, in der er die herausragende Rolle der KPCh für den Wiederaufstieg Chinas verdeutlichte. Damit habe Xi die alte Narration der chinesischen Machthaber neu belebt, dass die KPCh das neue, starke China, damals im Bürgerkrieg gegen die Japaner und gegen die Nationalisten, erst ermöglicht habe und auch nur die KPCh die zukünftigen Herausforderungen werde meistern können. Xi sei also durch und durch Parteimensch, der eine mächtige Partei nicht nur als eigene Machtbasis für sich selbst brauche. Vielmehr sehe er sich tatsächlich in historischer Mission, die Aufgabe der KPCh – also den Wiederaufstiegs Chinas – zu verwirklichen.

Laut Brown hat Xi seit 2012 ein ausgeprägtes Bewusstsein für die schwierigen Herausforderungen gezeigt, eine Bevölkerung mit steigender Erwartungshaltung, die durch eine dreißigjährige Wachstumsphase verwöhnt sei, auf ein sich verlangsamendes Wirtschaftswachstum und eine Stagnation in der Wohlstandsentwicklung einzustimmen. In dieser Situation habe Xi Jinping sich einer Ideologisierung der Politik bedient, um einen ideologischen Konsens und eine gemeinsame Sprache in dem so komplexen und fragilen China zu stärken. Dabei werden Xis persönlicher Hintergrund, die Selbstdarstellung der Partei sowie die Geschichte Chinas zu einer Narration des „chinesischen Traums“ von Wohlstand, Aufstieg, Stärke und Anerkennung verwoben. Die Bedeutung der Ideologie für Chinas Politikeliten und die chinesische Gesellschaft sei im westlichen Ausland, so Brown, kaum zu verstehen. Die von Xi angestoßene Korruptionskampagne sei daher auch nicht allein als machtpolitischer Schachzug zu begreifen, um unliebsame Konkurrenten zu beseitigen. Vielmehr diente sie auch als Imagekampagne für die KPCh, die sich das Bild des Schmarotzers und eines Selbstbedienungsladens in einer Zeit nach dem exzessiven Wachstum nicht mehr würde leisten können. Die alte Losung Mao Zedongs, „dem Volke dienen“, wurde somit in Xis Narration und Aufforderung des Selbstopfers für die „große nationale Aufgabe“ des Wiederaufstiegs Chinas neu belebt. Für Brown steht diese Narration auch für eine Machtverschiebung: Der Wunsch der Bevölkerung nach Wohlstand, einem starken China und Anerkennung leite die Partei. Die Zeiten, in denen die Partei bis in das Privatleben der Menschen regierte, seien vorbei.

Einen weiteren Wandel bemerkt Kerry Brown in der chinesischen Außenpolitik. Mit Xi habe es hier eine fundamentale Verschiebung, weg von Deng Xiaopings Maxime –„sein Licht unter den Scheffel zu stellen und den richtigen Augenblick abzuwarten“ – gegeben. Stattdessen habe Xi mit der Belt-Road-Initiative eine aktive Interessenpolitik Chinas angestoßen und seine Regierung betreibe ungeachtet der internationalen Reaktionen eine offensive Politik im Südchinesischen Meer. Zwar sei man sich in Beijing bewusst, dass man lange von der bestehenden Ordnung profitiert habe, aber man teile nicht die Werte dieses Systems. Stattdessen pflege man einen „Exzeptionalismus“, der für China eine Sonderrolle in der internationalen Gemeinschaft reklamiere. Dabei schwanke man in Beijing zwischen der Selbstdarstellung des Landes als schwach und als Opfer und einem an Hybris grenzenden Selbstbildnis als zukünftiges „Reich der Mitte“ nach dem Aufstieg der Volksrepublik. Letztlich deutet dies laut Brown darauf hin, dass die Politikeliten sich selbst unsicher seien, wie man die Welt eigentlich haben möchte. Xis Aufforderung an seine Parteigenossen, die „China Story“ für ein positives Chinabild besser zu erzählen, kann jedoch angesichts der aktuellen Berichterstattung über die Volksrepublik zweifelsohne als misslungen gelten, so Brown.

The World According to Xi ist ohne Zweifel eine zu empfehlende Lektüre. Die nur knapp 140 Seiten umfassende Darstellung ist gut und zügig zu lesen und die zentralen Aussagen werden durch eine klare Gliederung deutlich. Brown bietet eine gelungene „systemimmanente“ Erklärung für Xis Politik und sein Denken, ohne zum Fürsprecher dieser Ideen zu werden. Des Weiteren greift der Autor auf humorvolle Weise weitverbreitete Fehlannahmen über China und seine Gesellschaft auf. Dazu gehört beispielsweise, dass im medialen Rummel um jede neue Führungspersönlichkeit diese als „heimlicher Reformer“ tituliert werde oder dass im Ausland schlicht unbekannt sei, dass die neue Mittelklasse wenig Verständnis für die im Ausland gelobten chinesischen Bürgerrechtsaktivisten habe. Eine interessante Ergänzung für den Leser wäre gewesen, wie Brown die Erfolgsaussichten von Xis Politik und seinem neuen Politikstil beurteilt und vor allem stärker aufzuzeigen, welche Risiken diese verstärkte „Ideologisierung“ mit sich bringt. Insbesondere die Gefahren eines erstarkenden Nationalismus werden allenfalls am Rande erwähnt.

1Jesse, Eckhard (2008): Demokratie in Deutschland: Diagnosen und Analysen. Böhlau Verlag; Köln. S. 122-123

 

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