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Walter Ötsch / Nina Horaczek: Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung

13.03.2019
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Autorenprofil
Michael Rohschürmann
Frankfurt a. M., Westend Verlag 2017

Nicht erst seit den Erfolgen der Partei Alternative für Deutschland und des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump ist Populismus wieder in aller Munde. Dabei ist er mitnichten ein neues Phänomen oder nur im rechten politischen Lager zu finden. Diese Fokussierung stellt auch einen kleinen Kritikpunkt an dem Buch von Walter Ötsch und Nina Horaczek dar. Zumindest einen Verweis darauf, dass sich die sehr anschaulich beschriebenen Phänomene im ganzen politischen Spektrum finden und auch bei Interessen- und Lobbygruppen oder einfach in sozialen Netzwerken beobachtbar sind, wäre vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Neutralität wünschenswert gewesen.

Inhaltlich schmälert dies aber die sehr gute und vor allem kurzweilig lesbare Zusammenfassung über Kernprinzipien und Wirkmechanismen des Populismus keineswegs. Trotz der Beschränkung auf Beispiele aus dem rechten Lager ist das Material mehr als ausreihend, um die beschriebenen Mechanismen zu veranschaulichen. Die Akteure reichen dabei vom Schweizer Christoph Blocher, dem Niederländer Geert Wilders über Donald Trump, Viktor Orbán und Norbert Hofer bis hin zu Frauke Petry.

Der Ansatz des Autorenduos, das Buch als Anleitung für Jung-Populisten zu schreiben und durch diese Überspitzung die zugrunde liegenden Mechanismen zu veranschaulichen, ist erfrischend und auf diese Weise ist es gut lesbar. Ähnliche Ansätze wurden bereits erfolgreich von David Hebditch und Ken Connor1 angewandt.

Insgesamt listen Ötsch und Horaczek 70 einzelne rhetorische Kniffe in sechs Kapiteln auf – bieten sozusagen einen Werkzeugkasten des Populismus (praktischerweise zusammengefasst auf den Seiten 227 bis 229). Der grundsätzlichen Beschreibung des Werkzeuges folgt immer ein praktisches Anwendungsbeispiel aus der aktuellen Politik – wie gesagt: leider nur aus dem rechten politischen Lager.

Dabei wird deutlich, dass Populismus in erster Linie von Schwarz-Weiß-Dichotomien lebt. Der erste Schritt und wesentliches Merkmal zugleich ist die Konstruktion zweier Gruppen: „Erfinden Sie eine Gesellschaft, die nur aus zwei Gruppen besteht: den WIR und den ANDEREN“ (13). Interessanterweise stellt das Autorenduo unverkannbar heraus, dass diese simplizistische Weltsicht eben kein Zeichen von Dummheit ist, sondern den Grundstein für alle weiteren rhetorischen Werkzeuge des Populismus bildet. Die Reduktion auf zwei Gruppen und die Schaffung klarer Gruppengrenzen ermöglichen erst die weiteren Schritte wie etwa: „Reduzieren Sie alles auf Ihre Kernbotschaft“ (21), „Erfinden Sie Kose- und Hassnamen für die Anderen“ (25), „Machen Sie die WIR schön und die ANDEREN hässlich“, „Immer den bösen Einzelfall verallgemeinern“ (45), „Grenzen Sie aus“ (125), „Behaupten Sie, dass die ANDEREN Sie ausgrenzen“ (129) und so weiter. Die WIR sind perfekt. Sie sind nur „brav“, „arbeitsam“, „bürgerlich“, „modern“, „tüchtig“ usw. Die WIR sind grundsätzlich friedliebend und werden nur gewalttätig, wenn die ANDEREN sie provozieren. Ihre Gegner sind DIE DA OBEN, DIE DA DRAUSSEN und DIE DA UNTEN. Die ANDEREN sind „kriminell“, „faul“, „unmoralisch“, „gewissenlos“, „charakterlos“ etc.
Bemerkenswert ist auch der Verweis auf die Nutzung religiöser Symbolik – wobei sich diese eher im Rechts- als im Linkpopulismus finden dürfte.

Das letzte Kapitel ist der Frage gewidmet, wie sich diesen Mustern rhetorischer Manipulation widerstehen lässt. Dabei sollen Demagogen weder unterschätzt noch dämonisiert und ihre Wähler weder verteufelt noch die bestehenden Eliten unkritisch verteidigt werden. (194) An dieser Stelle stellen Ötsch und Horaczek der Politik der zurückliegenden Jahre ein schlechtes Zeugnis aus. Ihre Aufgabe sei es, positive Vorstellungen und Visionen zu entwickeln, doch diesbezüglich habe die Politik versagt.

„Der heutigen Demagogie wurde jahrzehntelang der Boden bereitet. Und zwar durch eine Politik, die keine expliziten Zukunftsbilder entworfen hat, das heißt auf einen kraftvollen Zukunftsdiskurs verzichtet hat. [...] Auf Deutschland bezogen: Jahrelang wurde gesagt, es gäbe keine Alternative, und die Antwort war die Alternative für Deutschland.“ (223)

Wie eingangs erwähnt, ist der Fokus auf rechte politische Parteien die einzige wirkliche Schwachstelle des Buches. Dadurch wird ignoriert, dass die beschriebenen Muster in weiten Teilen in den Wahlkämpfen aller Parteien wiederzufinden sind. Populismus und Demagogie sind daher eben keine Bedrohung von rechts, sondern eine systemische Bedrohung der Demokratie. Offen bleibt auch die Frage, inwiefern ein gewisses Maß an Populismus in Demokratien nicht unumgänglich ist.

Insgesamt stellt das Buch ein gutes Nachschlagewerk dar, bietet eine wichtige Grundlage für alle politisch Interessierten und ist zudem hilfreich im politischen Diskurs. Als akademisches Grundlagenwerk ist es bedingt geeignet, da wichtige Metafragen, wie die oben genannten, ausgeklammert werden.


Anmerkung

1 David Hebditch / Ken Connor:
Wie man einen Militärputsch inszeniert: Von der Planung bis zur Ausführung,
Graz, ARES Verlag 2006.

 

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Rezension

Jan-Werner Müller

Was ist Populismus? Ein Essay

Berlin, Suhrkamp 2016 (edition suhrkamp)

Was ist überhaupt demokratisch? Von dieser Frage ausgehend widmet sich Jan-Werner Müller dem Populismus. Über den Pluralismus als Merkmal der Demokratie gelangt er zu der These, dass Populismus per se antipluralistisch und „der Tendenz nach zweifelsohne antidemokratisch ist“. Es ist folglich auch nicht wesentlich, wer die Wählerschichten der Populisten sind und welche Gemeinsamkeiten unter ihnen ausfindig zu machen wären. Für Müller definiert sich der Populist nicht über seine Anhängerschaft, sondern über drei Herrschaftstechniken, die er anwendet: Inbesitznahme des Staates, Klientelismus und Diskreditierung jeglicher Opposition.
zur Rezension

 


Vortrag

Nina Horaczek
Propagandakrieg in Europa: Die Medien der Rechten
Vortrag im Rahmen der Konferenz „re:claim public discourse!“ der Rudolf-Augstein-Stiftung
22. Februar 2019, Hamburg



Aus der Annotierten Bibliografie

Was ist (linker) Populismus? Eine Auswahl an Kurzrezensionen

Ist der Populismus eine Gefahr für die Demokratie oder doch deren nützliches Korrektiv? Diese Frage stellt durchaus einen roten Faden bei der wissenschaftlichen Beobachtung dieses politischen Phänomens dar. Zumeist wird bei dem Versuch, eine Antwort zu geben, jeglicher Alarmismus vermieden und der linke wie rechte Populismus als eine Spielart der politischen Kommunikation begriffen. Auch wird der Blick immer wieder auf Gemeinsamkeiten von Links- und Rechtspopulismus geworfen, die sich in der Ablehnung der Moderne unter den Vorzeichen der kapitalistischen, neoliberalen Globalisierung auf den Punkt bringen lassen. Als verbindendes Element wird eine in sich geschlossene Wir-sie-Unterscheidung genannt. Im Mittelpunkt dieser Auswahlbibliografie steht daher der Linkspopulismus und sein Vergleich.
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Sammelrezension

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