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Timo Lochocki: Die Vertrauensformel. So gewinnt unsere Demokratie ihre Wähler zurück

27.03.2019
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Autorenprofil
Sarah Ribbert, M.A.
München, Herder Verlag 2018

In Zeiten, in denen rechtspopulistische Kräfte in immer mehr Parlamenten vertreten sind und die Volksparteien um ihr Überleben kämpfen müssen, stellt sich die Frage, ob und – wenn ja – wie dieser Trend noch umzukehren ist. Eine mögliche Antwort darauf liefert der Politikwissenschaftler Timo Lochocki in diesem Buch. In einem Rundumschlag analysiert er darin die aktuelle politische Situation in Deutschland (und Europa) sowie die Versäumnisse und Fehler der Volksparteien seit 2015 und entwirft anhand konkreter Beispiele mögliche Lösungsansätze, wie CDU/CSU und SPD ihre Wähler*innen wieder an sich binden können.

Zentraler Ausgangspunkt für seine Überlegungen ist eine Studie der Bertelsmann Stiftung, wonach der Anteil globalisierungsskeptischer Wähler*nnen, die das Potenzial der AfD darstellen, bei 45 Prozent liegt (16). Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist für Lochocki vor allem ein Resultat des Vertrauensverlustes der Wähler*innen gegenüber den Volksparteien und ihres Wunsches nach Anerkennung. CDU/CSU und SPD hätten es verlernt, „Bürgerliche Kompromisse“ in der Identitätspolitik, also in der Migrations-, Außen- und Europapolitik, auszuhandeln. Dieser eigens von ihm ausgedachte Begriff des bürgerlichen Kompromisses zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Lochocki versteht darunter, dass konservative Politiker beider Volksparteien medienwirksame Vorschläge zu identitätspolitischen Fragen aushandeln, die die globalisierungskritischen und -befürwortenden Wählergruppen zusammenführen. Damit ein solcher Kompromiss Erfolg hat, müsse er zwei Bedingungen erfüllen: einerseits müsse er den sozialen Wandel mittragen und diesen andererseits für die globalisierungsskeptischen Wähler*innen mit Stabilität versehen, indem ausreichend auf ihre zentralen Sorgen eingegangen wird.

Wird dies öffentlichkeitswirksam als durchsetzungsstarke Politik dargestellt, könne man sich wieder anderen Themen zuwenden, vor allem sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen. Die Volksparteien, so die Argumentation des Autors, täten gut daran, sich stärker auf die Politikbereiche zu besinnen, in denen sie traditionellerweise bei Wähler*innen Erfolge erzielen können, die aber oftmals durch den Fokus der Rechtspopulisten auf Identitätspolitik vernachlässigt werden. Dies führe zu einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen Progressiven und Konservativen und, wie in der Vergangenheit geschehen, zu einer kurzsichtigen Integrations- und Migrationspolitik (163).

Für Lochochki spielt somit die öffentliche Kommunikation eine zentrale Rolle für die Wiedergewinnung von Vertrauen. Dabei komme es vor allem darauf an, den subjektiven Sorgen der Wähler*innen mit Empathie zu begegnen. Diesem Thema widmet er sich ausführlich im dritten Kapitel und formuliert dabei nicht minder gewagte und überraschende Thesen wie: „Es gibt in ganz Europa keinen belastbaren Zusammenhang zwischen Zuwanderungszahlen, Integrationserfolgen oder Migrationsgesetzen und den Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien.“ (83) Mehr als von der politischen Realität, so konstatiert er, hängen die Wahlentscheidungen von Bürger*innen von den Debatten ab, die die Parteien führen. Diese dienten als Ausgangslage für die Entscheidung, welche Partei am ehesten und vertrauenswürdigsten die eigenen politischen Positionen vertritt. Diese These verdeutlicht der Autor plausibel an verschiedenen Beispielen, wie etwa dem Asylkompromiss 1992/93, der Euroeinführung und den Leitkulturdebatten ab 1999.

Noch ausführlicher zeichnet er im vierten Kapitel diese Argumentationslinie entlang der Flüchtlingsdebatten ab 2015 nach und räumt im fünften Kapitel mit zahlreichen Missverständnissen über die Gründe der Entfremdung vieler Wähler*innen von den Volksparteien und den Aufstieg der AfD auf. Das zentrale Problem sei, so lautet auch hier seine Diagnose, dass es den Volksparteien nicht gelungen sei, konservative Erfolge durchzusetzen und medienwirksam zu verbreiten (114 f.). Daher lasse sich der Erfolg der AfD langfristig auch nur eindämmen, wenn sich das progressive Lager zurücknehme und die Befürchtungen der konservativen Wähler vor starken Veränderungen ernst genommen werden. Im hohen Grade Selbstreflexionen anstoßend, appelliert Lochocki daher, bei der Wahlentscheidung nicht nur darauf bedacht zu sein, dass das eigene politische Lager Siege davontrage, sondern immer auch die Mehrheitsfähigkeit politischer Vorhaben in der Bevölkerung zu berücksichtigen. Nur wenn dies sichergestellt sei, könne der Einfluss der AfD reduziert und abgewanderte Wählerschaften zurückgewonnen werden (104 f.).

In dieser Hinsicht geht das Buch über eine reine wissenschaftliche Aufarbeitung hinaus, handelt es doch auch von dem Versuch, die Leser*innen mit Aufforderungen wie „Werden Sie Brückenbauer“ (82) direkt anzusprechen und aus ihrer passiven Rolle herauszuholen. Dies gelingt teils besser, teils schlechter, allerdings – und das muss man Lochocki zugutehalten – fördert er überraschende Ergebnisse zutage, die er empirisch gut begründet und womit er zur Genüge Denkanstöße dazu liefert, die eigenen Annahmen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Der Gebrauch einer einfachen und verständlichen Sprache, gepaart mit zahlreichen Beispielen aus dem Alltag, einer prägnanten Zusammenfassung und der kursiven Hervorhebung wesentlicher Aussagen erleichtern die Lektüre zusätzlich und qualifizieren das Buch auch für ein nicht-fachwissenschaftliches Publikum. Dies mindert allerdings nicht seine wissenschaftliche Qualität, untermauert der Autor doch immer wieder seine Thesen und Beispiele durch Verweise auf Studien und anderweitige Publikationen.

Insgesamt gelingt es Lochocki in seiner Analyse, die politische Situation über die vergangenen Jahre verständlich aufzubereiten. Im letzten Kapitel des Buches gibt er den Volksparteien konkrete Handlungsvorschläge mit an die Hand, wie sie verloren gegangenes Vertrauen bei aktuellen politischen Herausforderungen zurückgewinnen können. Diese mögen zwar in ihrer Simplizität überraschen, dennoch täten die Parteien gut daran, sie zu beherzigen!

 

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