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Paul R. Daugherty / H. James Wilson: Human + Machine. Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit

13.12.2018
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Autorenprofil
Matthias Herb-Seifert
München, dtv 2018

Das Thema Künstliche Intelligenz hat in den vergangenen gut fünf Jahren einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Ursprünglich entstand die Idee, Maschinen menschliches Verhalten zu lehren, in den späten 1950er-Jahren. Nach gut 60 Jahren voller Hochs und Tiefs können Aspekte künstlicher Intelligenz heute zu vergleichsweise niedrigen Kosten in vielen Kontexten eingesetzt werden. Künstliche Intelligenz findet sich in Apps auf Smartphones, in Fabriken, in vielen wissenschaftlichen Disziplinen und mittlerweile auch in vielen bisher dem Menschen vorbehaltenen Arbeitsprozessen. Mit diesem Aufstieg ging eine breite öffentliche Debatte einher, die sich sehr stark auf ethische Aspekte Künstlicher Intelligenz konzentrierte. Im Zentrum stand dabei häufig das selbstfahrende Auto. Der steuernde KI-Algorithmus muss im Zweifelsfall die Entscheidung treffen, ob in einer Dilemmasituation ein Mensch oder drei Menschen überfahren werden sollen. Viele Menschen hielten und halten es für unverantwortlich, einem Computerprogramm diese Entscheidung zu überlassen. In derartigen Diskussionen bilden sich oft relativ schnell zwei Lager: In dem einen ist man davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Lösung für die dringendsten Probleme der Menschheit sein und unser Überleben sichern wird. Insbesondere in der Popkultur wird hingegen oft ein negatives Bild von KI gezeichnet, die ihrem Schöpfer gegenüber feindselig gesonnen ist. Das Äquivalent in der öffentlichen Debatte sind Arbeitnehmer*innen, die schlicht Angst vor ihrer Ersetzung durch Maschinen haben. Die Autoren des Bandes „Human + Machine“ nehmen auf diesem Kontinuum eine angenehm unaufgeregte Mittelposition ein: „Die einfache Wahrheit lautet: Maschinen werden nicht die Weltherrschaft übernehmen und sie machen Menschen am Arbeitsplatz auch nicht überflüssig. Im heutigen Zeitalter […] treten KI-Systeme nicht massenweise an unsere Stelle, sondern sie verstärken unsere Fähigkeiten […] und ermöglichen so Produktivitätszuwächse, die zuvor nicht möglich waren“ (16).

Gleichzeitig vertreten Paul Daugherty und H. James Wilson die These, dass aus dieser Entwicklung heraus eine Vielzahl neuer Berufsbilder und damit Jobs entstehen werden, die den Wegfall von Arbeitsplätzen zumindest in Teilen kompensieren kann. Hierzu ordnen sie insgesamt 14 wichtige Tätigkeiten entweder den „menschlichen Aktivitäten“, den „maschinellen Aktivitäten“ oder den „Mensch/Maschine Aktivitäten“ zu. „Führen“ und „kreativ sein“ bleiben dabei den Menschen vorbehalten, „erledigen“ und „sich anpassen“ den Maschinen. In der „fehlenden Mitte“, den Mensch/Maschine-Aktivitäten, werden den Autoren zufolge die meisten neuen und zukunftsorientierten Jobs entstehen. Dabei wird es unter anderem darum gehen, Maschinen intelligent zu trainieren oder durch KI menschliche Fähigkeiten zu verstärken.

Der Band ist in zwei ungefähr gleich große Teile geteilt. Im ersten Teil stellen Daugherty und Wilson, beides langjährige und hochrangige Accenture-Mitarbeiter, dar, in welchen Branchen und wie KI heute bereits eingesetzt wird. Sie porträtieren dabei eine Vielfalt von Firmen und Möglichkeiten: von lernenden Roboterarmen in der Autoproduktion bis hin zum Chatbot einer schwedischen Bank, der echte Kunden berät. Im zweiten Teil des Bandes untersuchen sie die „fehlende Mitte“ und „stellen einen Leitfaden bereit, mit dem man die traditionellen Vorstellungen von Arbeit revidieren und ‚neu denken‘ kann“ (20). Sie entwickeln dazu eine fünfschrittige Geisteshaltung, die Firmen haben sollten, wenn sie mit Künstlicher Intelligenz arbeiten und sich weiterentwickeln wollen. Diese Geisteshaltung sollte eine große Handlungsorientierung beinhalten, experimentierfreudig sein, KI verantwortungsvoll nutzen, eine klare Datenlieferkette besitzen und bei den Mitarbeiter*innen gezielt auf die aktive Entwicklung von Fertigkeiten hinarbeiten, die Menschen in der Zusammenarbeit mit KI-Systemen benötigen.

Der Band wendet sich damit an eine eher unscharfe Zielgruppe: Während der erste Teil aufgrund der Vielzahl an wirklich illustrativen und faszinierenden Beispielen von Leser*innen ohne Vorkenntnisse mit großem Gewinn gelesen werden kann, richtet sich der zweite Teil gezielt an Manager*innen ab der mittleren Führungsebene in Unternehmen. Die Vielfalt der behandelten Firmen, Prozesse und Anwendungen von KI ist aber gleichzeitig auch die Schwäche des Bandes, viele Aspekte werden nur angerissen und nicht vertieft. Und während die Schlussfolgerungen für die Management-Ebene zwar durchaus logisch und nachvollziehbar sind, bleiben auch sie zu sehr im Ungefähren. So wird anhand der Beispiele Alexa und Cortana aufgezeigt, wie KI-Systeme Empathie gegenüber Menschen zeigen können und dass dieses Verhalten das Resultat menschlichen Trainings ist. Genau hier wäre es aber interessant gewesen, wie genau die Firmen ihre digitalen Assistenten zur Menschlichkeit trainiert haben.

Daugherty und Wilson haben einen sehr anschaulichen Band zu einem der wichtigsten Themen unserer Zeit geschrieben, der eine riesige Bandbreite an Themen, Firmen und Problemen anschneidet. Dieser Fülle wird der Band nicht gerecht, zu vieles verbleibt an der Oberfläche und wird nicht weiter ausgeführt. Das ist schade, denn die Autoren verfügen ausweislich ihrer Fußnoten und ihrer eigenen Forschungsarbeit über mehr als genügend Daten. Wahrscheinlich wäre hier eine Fokussierung auf eine kleinere und klarere Leitfrage sinnvoller gewesen. Dennoch kann der Band einige wichtige Anregungen für bisher wenig technikaffine Manager*innen liefern, die die ersten Schritte im Bereich KI gehen wollen – oder müssen.

Der Band kann auch ein Impuls für die Politikwissenschaft sein. Die politische Philosophie wird sich in den kommenden Jahren verstärkt mit den ethischen Fragen von KI auseinandersetzen: Wie werden wir zusammenleben? Wer steuert das Zusammenleben und setzt die Regeln? Gleichzeitig ergeben sich auch Schnittstellen zur Vergleichenden Regierungslehre und den Internationalen Beziehungen, wenn es um die Rechte von Arbeitnehmer*innen weltweit und das technologische Macht(un)gleichgewicht in der Künstlichen Intelligenz geht. Hier werden dann Fragen nach Fördergeldern, Forschungszentren und internationalem Wettbewerb im Vordergrund stehen.

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