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Armut und das Epizentrum der sozialen Frage. Über die Wiederkehr gesellschaftlicher Konflikte

14.02.2019
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Dr. Thomas Mirbach

Armut flickrDer Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktpolitik und wachsender Armut müsse stärker ins Zentrum der politischen Debatte gerückt werden, mahnt Thomas Mirbach in seinem Essay. Foto: struschi (flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

 

Inhalt

1. Strittige Armut
2. Armut als Ungleichheit
3. Armut im Blick eines ministeriellen Berichts
4. Steigendes Armutsrisiko, aber konstanter Reichtum
5. Abstiegsängste der gesellschaftlichen Mitte
6. Verschwiegener Paradigmenwechsel der Arbeitsmarktpolitik
7. Arbeit als Epizentrum der sozialen Frage
8. Wiederkehr des Verdrängten?8. Wiederkehr des Verdrängten? 
Literatur


1. Strittige Armut

Die Rede über Armut ist strittig, man weiß es. Gestritten wird ebenso über Armutsdefinitionen wie über ergriffene oder unterlassene Maßnahmen gegen Armut. Die einfachste Form, das Problem zu leugnen, stellen administrative Definitionen dar, denen zufolge der Erhalt von Mindestsicherung (wie das Arbeitslosengeld II) nicht Armut, sondern deren Bekämpfung bedeute (wie jüngst Gesundheitsminister Jens Spahn meinte). Dergleichen war mit derselben Intention schon zu Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes zu hören. Eine andere, sehr traditionsreiche Variante ist die – mindestens implizite – Unterscheidung von „würdigen“ und „unwürdigen“ Armen (Bohlender 1998) etwa im Kontext von Missbrauchsdebatten (Oschmiansky et al. 2003). Aktuell zeigt sich das an den Auseinandersetzungen über den Einsatz von Sanktionen von – zumal jüngeren – erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im SGB-II-Bezug, mit denen Regelverletzungen (wie Nichteinhaltung von Terminen oder Nichtannahme „zumutbarer“ Arbeit) geahndet werden. Ist jemand wirklich überrascht, wenn sich im Sanktionsbereich soziale Selektivität bemerkbar macht? Faktisch haben gering Qualifizierte ein höheres Sanktionsrisiko, auch wenn sie sich in Sachen Arbeitsmotivation oder Konzessionsbereitschaft nicht von hoch Qualifizierten unterscheiden (Zahradnik et al. 2016). Da die Grundsicherung laut Sozialgesetzbuch II das soziokulturelle Existenzminimum gewährleisten soll, wäre normativ zu fragen, ob sanktionierende Reduktionen des Regelbedarfs (von 30, 60 oder 100 Prozent) mit der grundgesetzlich verankerten Menschenwürde vereinbar sind (Brune 2018). Hier bleibt das laufende Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abzuwarten. Armut löst Affekte aus; vielfach Gefühle der Deklassierung auf Seiten jener, die sich als Kunden der Jobcenter dem Aktivierungsregime von Fördern und Fordern unterworfen sehen (Ludwig-Mayerhofer et al. 2009), und negative Klassifikationen auf Seiten jener, die sich nicht zu den Armen zählen (Neckel/Sutterlüty 2005). In den von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Mitte-Studien über Ausprägungen „Gruppenbezogener Menschfeindlichkeit“ fällt auf, dass die Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen zu den stabilen Elementen dieses Syndroms zählt – zwischen 2007 und 2016 schreibt ihnen im Schnitt nahezu jeder Zweite der Befragten Arbeitsunwilligkeit zu Lasten der Gesellschaft zu (Zick et al. 2016, 42ff.).

Auf den folgenden Seiten wird – ausgehend vom aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (ARB) – ein Blick darauf geworfen, wie über Armut kommuniziert wird. Dabei geht es zum einen um das Bild, das der ARB von der Armut entwirft (Abschnitte 2 und 3), zum anderen um das, was in dieser Darstellung nicht oder nur abgeschwächt behandelt wird (4, 5). Das sind – mit Robert Castel gesprochen – Veränderungen der gesellschaftlichen Arbeit als Epizentrum der sozialen Frage (6, 7). Eine Debatte über Armut, die strukturelle Verteilungsfragen ignoriert, ist politisch mindestens naiv (8).


2. Armut als Ungleichheit

Es waren zunächst Kommunen und dann Bundesländer, die seit Ende der 1980er-Jahre Armut als zunehmendes gesellschaftliches Problem durch die Herausgabe entsprechender Armuts- beziehungsweise Sozialberichte anerkannten. Der Bund zögerte lange, dieser Praxis zu folgen. Erst nach dem Wechsel zur rot-grünen Koalition wurde seitens einer Bundesregierung eingeräumt, dass Armut ein Thema von bundesweiter Relevanz ist. Seit dem Erscheinen des ersten Berichts 2001 ist die Armuts- und Reichtumsberichterstattung (ARB) mittlerweile auf Bundesebene etabliert; aktuell liegt – mit einem Umfang von 704 Seiten – der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht (5. ARB) der Bundesregierung (BMAS 2017) vor. Wie schon bei den früheren Berichten, ist er von einer Reihe ergänzender Studien begleitet, die unterschiedliche verteilungsrelevante Themen behandeln (Bericht und Studien sind verfügbar unter www.armuts-und-reichtumsbericht.de). Zweifellos muss man der Armuts- und Reichtumsberichterstattung das Verdienst zuschreiben, die fachpolitische Debatte auf Bundesebene sowohl durch die Berichte selbst als auch durch die beauftragten Studien verstetigt zu haben. Die darauf bezogenen, zum Teil sehr kritischen Kommentare der Wohlfahrtsverbände und der Gewerkschaften können als Beleg dafür gelten (sie sind allerdings nicht auf der ARB-Homepage zu finden). Sehr summarisch gesprochen enthalten die Kommentare zum 5. ARB teils generelle Einwände (Unterzeichnung des Ausmaßes verfestigter Armut, unzureichende Behandlung struktureller Armutsursachen), teils Aufforderungen, spezifische Segmente des Armutsgeschehens intensiver zu behandeln (wie Altersarmut, Pflegebedürftigkeit, Überschuldung, Wohnungslosigkeit) sowie Hinweise einer ergänzenden Datenauswertung (räumliche Gliederung der Befunde). Durchgehend wird die Darstellung erforderlicher Maßnahmen als zu unverbindlich kritisiert.

Schon vom ersten ARB an nahm die Frage einer angemessenen Armutsdefinition sowohl in methodischer wie in konzeptioneller Hinsicht großen Raum ein. Die zum Teil sehr differenzierten methodischen Aspekte sozialstatistischer Messungen auf der Basis von Mindeststandards und Einkommensgrenzen seien hier ausgeklammert (Hauser 2008; Christoph 2015). Der ARB hatte sich mit guten Gründen – in Abgrenzung von Varianten einer vermeintlich objektiven Definition im Sinne eines warenkorbbasierten sozialrechtlichen Existenzminimums – auf einen relativen Armutsbegriff festgelegt, der sich auf Abstände zu einer gesellschaftlich als „durchschnittlich“ geltenden Lebensführung bezieht. Konzeptionell fand ein Wechsel vom Lebenslagenansatz (der mehrdimensionalen Unterversorgung in spezifischen Lebenssituationen, ARB 1 und 2) zum weitergehenden Capability Approach von Amartya Sen (Armut als Mangel von Verwirklichungschancen, ARB 3) und schließlich (schon im vierten ARB) auf ein insgesamt sehr unbestimmt bleibendes Konzept gesellschaftlicher Teilhabe (wechselnd zwischen den Dimensionen Erwerbsbeteiligung, Einkommensverteilung, zivilgesellschaftliche Aktivitäten, soziale Kontakte). Allerdings bleibt der Fairness halber zu betonen, dass an die Armuts- und Reichtumsberichterstattung in konzeptioneller Hinsicht keine Konsistenzanforderungen gestellt werden sollten, die die einschlägige sozialwissenschaftliche Forschung selbst nicht erfüllt. Allein mit Blick auf die Soziologie wäre zu fragen, ob sie jenseits spezieller empirischer Forschungsansätze (in Zusammenhang mit Karriereverläufen und Diskriminierungen unterschiedlicher Gruppen) über eine eigenständige Soziologie der Armut verfügt, die Armut kohärent auf das Bezugsproblem sozialer Kohäsion bezieht (Ludwig-Mayerhofer/Barlösius 2001, 51 ff.). Der 5. ARB jedenfalls folgt der EU-Konvention und verwendet einen relationalen Armuts- beziehungsweise Armutsrisikobegriff, für den 60 Prozent des Medianeinkommens die Grenze zwischen den Zonen von Armut und Nicht-Armut markiert (als Basis dient das reale verfügbare Haushaltsnettoeinkommen, gewichtet nach der Zahl der Haushaltsmitglieder; der Median ist der statistische Mittelwert, der die Grundgesamtheit in zwei gleich große Hälften teilt).

Gewiss ist die 60-Prozent-Linie eine Konvention (die unter anderem eine EU-weite Sozialberichterstattung erleichtert), aber sie ist durchaus nicht willkürlich. Die Dimension des Einkommens wird mit dem Argument in den Mittelpunkt gerückt, gesellschaftliche Teilhabe habe in der Regel monetäre Voraussetzungen (5. ARB, 98ff.). Zu Recht hebt der Bericht hervor, dass die Armutsrisikoquote in erster Linie ein Maß der Einkommensungleichheit ist. Zu den Kuriositäten der Debatte gehören Einwände, die, als terminologische Kritik vorgetragen, auf der Differenz von Armutsrisiko und Armut beharren und statt von Armutsrisikoquote lieber von Einkommensschwäche oder Niedrigeinkommensquote sprechen möchten. Einwände dieser Art – selbst wenn sie nicht auf einem essentialistischen Armutsverständnis beruhen – verdecken den politiktheoretisch eigentlich zentralen Zusammenhang, der im relationalen Armutsbegriff immerhin anklingt. Auf der Basis nahezu aller Standardindikatoren ist seit Beginn der 1980er-Jahre ein Anstieg der „Ungleichheit als Krankheit der Demokratie“ zu beobachten (Merkel 2015, 185 ff.). Dabei ist es im Zuge der Ausbreitung eines kulturellen Kapitalismus (Reckwitz 2017, 273 ff.) zu einer Rückkehr der Klassenfrage gekommen (Therborn 2016): „Die entwickelten Demokratien waren außerordentlich erfolgreich darin, kulturelle und rechtliche Ungleichheiten abzubauen. […] Der cultural turn im Ungleichheitsdenken, die Achsenverschiebung von sozioökonomischer Umverteilung zu Anerkennungs- und Identitätsfragen hat den Anstieg ökonomischer Ungleichheit in den Halbschatten des Sekundären verdrängt.“ (Merkel 2015, 186)


3. Armut im Blick eines ministeriellen Berichts

Die Perspektive des Berichts über die Lebenslagen in Deutschland bezieht sich in der Hauptsache auf die zehnjährige Phase nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, die Zeitreihen der verwendeten Indikatoren reichen indes – je nach Datenbasis – von 1995/96 bis 2015/16. Der Bericht greift in den einleitenden Ausführungen die in den Medien vielfach verbreiteten Befürchtungen über mögliche Folgen sozialer Ungleichheit auf. Das betrifft die fragliche Geltung des Leistungsprinzips gerade bei hohen Einkommen, blockierte soziale Teilhabe- und Aufstiegschancen von weniger privilegierten Gruppen, Ängste vor sozialem Abstieg angesichts zunehmender Globalisierung und Digitalisierung sowie befürchtete Konkurrenzen mit Geflüchteten um Arbeitsplätze, soziale Leistungen und Wohnraum. Gegen diese – wie Soziologen sagen könnten – Formen der Angstkommunikation (Bude 2014) wird das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft bekräftigt, „dass Teilhabe am gesamtgesellschaftlich erwirtschafteten Wohlstand durch eigene Leistung möglich und auch für jene gegeben ist, die das soziokulturelle Existenzminimum nicht aus eigener Kraft erreichen können“ (5. ARB, 6). Zudem wird betont, dass sich Deutschland zur Einhaltung der Ziele der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ verpflichtet habe (die unter anderem bis 2030 mindestens die Halbierung der Armut nach der jeweiligen nationalen Definition verlangt).

Eva Barlösius hat gezeigt, dass wissenschaftliche Repräsentationen sozialer Ungleichheit – wie Klassifikationen, sozialstatistische Darstellungen, unterschiedliche Berichtsformen – selbst Teil des Ungleichheitsgeschehens sind. Dabei ist die „Hervorbringung von Repräsentationen sozialer Ungleichheit als ein weitgehend eigenständiger sozialer Prozess zu begreifen, bei dem [spezifische] Ressourcen – insbesondere Benennungs- und Repräsentationsmacht – wirksam werden“ (Barlösius 2005, 182). Als ministerieller Bericht betreibt der ARB keine eigene Forschung, sondern versucht, durch Zusammenführung weitgehend anerkannter Forschungsergebnisse und statistischer Daten ein – mit den Worten Barlösius‘ – common-sense-fähiges Bild von sozialer Ungleichheit zu erzeugen.

Das geschieht im ARB durch eine weit aufgefächerte empirische Deskription, die je nach Datenquelle – Mikrozensus, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), Sozio-ökonomisches Panel (SOEP), European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) – verschiedene statistische Klassifikationen zur Beschreibung von Armut und Armutsrisiken heranzieht. Gewiss kann sich der Bericht dabei auf die in der fachpolitischen Debatte verbreitete Auffassung der Multidimensionalität von Armut berufen – was gleichermaßen die Entstehung wie das Erleben von Armut betrifft – und Armut wie Reichtum als gesellschaftliche Phänomene mit vielen Facetten behandeln, die „sich einer einfachen und eindeutigen Messung“ entziehen (ARB 8). Allerdings ist die erklärte Absicht, in einer „Gesamtschau die verschiedenen Dimensionen beziehungsweise Lebenslagen ausgewogen darzustellen“ (ARB 8), mit dem nicht deklarierten Effekt verbunden, Armut als transitorisches Phänomen erscheinen zu lassen, das in der Abfolge biografischer Phasen Unterschiedliches bedeutet. Dieser Eindruck stellt sich vor allem bei dem mit knapp 300 Seiten umfangreichsten Teil B des Berichts ein, der sich mit Erfolgs- und Risikofaktoren für die gesellschaftliche Teilhabe in vier Lebensphasen (unter 17, 18 bis 34, 35 bis 64, ab 65 Jahre) befasst. Nicht nur die Darstellungsform der Lebenslaufperspektive lässt die Diskussion von Ursachen in den Hintergrund treten (DGB 2017), durchgehend verweist der ARB eine Auseinandersetzung mit strukturellen Zusammenhängen sozialer Spaltung in den akademischen Raum unterschiedlicher disziplinärer und methodologischer Perspektiven. Mit Blick auf diesen mit der Berichtsform zusammenhängenden Duktus wird von Sozialverbänden wie dem Paritätischen Gesamtverband gefordert, künftig einen unabhängigen Sachverständigenrat mit der Erstellung des ARB befassen zu lassen.


4. Steigendes Armutsrisiko, aber konstanter Reichtum

Die immanenten Grenzen der ministeriellen Berichterstattung zeigen sich gerade auch in dem Abschnitt „Armut, Reichtum und Verteilung als Determinanten des gesellschaftlichen Zusammenlebens“ (98 ff.). Der wesentliche Befund lautet: „Parallel zum 424px Answer to inequality cant be blindness poster vectorsvgAnstieg der Ungleichheit über die gesamte Einkommensverteilung stieg zu Anfang der 2000er-Jahre auch die Armutsrisikoquote stark an. Seit dem Jahr 2005 ist der Anteil der Menschen in Deutschland, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben, zunächst ungefähr gleich geblieben. Trotz der derzeit guten wirtschaftlichen Lage und der deutlichen Beschäftigungszuwächse zeigt sich aktuell aber kein Rückgang der Armutsrisikoquote, sondern am aktuellen Rand eher ein Anstieg. Beschäftigungs- und Einkommenszuwächse über die gesamte Breite der Einkommensverteilung, die in den letzten Jahren unzweifelhaft stattgefunden haben, spiegeln sich darin nicht wider“ (5. ARB 98ff). Übersetzt in Zahlen heißt das: Seit 2005 bewegt sich die Armutsrisikoquote von Personen, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben, etwa in einer Größenordnung zwischen etwa 14 Prozent (2005) und knapp 16 Prozent (2014) (hier auf Basis des SOEP). Dabei bedeutet die Teilhabe am Arbeitsmarkt längst nicht mehr für alle ein auskömmliches Arbeitseinkommen. So ist die Armutsrisikoquote der Erwerbstätigen auf 9,2 Prozent (2014) gestiegen – mit deutlichen Unterschieden für West- und Ostdeutschland (2014 = 13,5 beziehungsweise 8,3 Prozent) und nach Migrationshintergrund (ohne = 7,8, mit = 13,3 Prozent) – und ebenso der Anteil der Beschäftigten mit Niedriglohn (definiert als zwei Drittel des Medianverdienstes), er liegt 2014 bei 21,4 Prozent.

Zwischen 2005 und 2016 blieb der Anteil der Bezieher von Leistungen aus den Mindestsicherungssystemen (also SGB II, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz) relativ stabil zwischen rund 9 und 10 Prozent, betroffen sind rund 7 bis 8 Millionen Personen. Wer weniger als das Medianeinkommen zur Verfügung hat, ist weit überdurchschnittlich von steigenden Mieten betroffen; seit 2012 muss nahezu jeder Zweite von ihnen mehr als 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufbringen. Wie eine aktuelle Auswertung zeigt, hat der Wohnungsbestand in den Großstädten für deutlich mehr als die Hälfte aller Haushalte unterhalb der Armutsgrenze schon jetzt keine bezahlbaren Wohnungen zu bieten (Holm u. a. 2018, 69). Auch die Zahl der hoch überschuldeten Haushalte ist im Berichtszeitraum auf über 2 Millionen gestiegen (2016). Die zunehmende, mehrjährige Verfestigung von Armut (Spannagel 2018) wird im Bericht nur dokumentiert, aber nicht weiter behandelt.

Ein kurzer Blick wird auch auf die (statistisch notorisch untererfasste) Reichtumsseite geworfen, hier belegen die Daten eine hohe Kontinuität der Verteilung sowohl des Einkommens wie des Vermögens. Als typische Kenzahlen: Die Einkommensanteile (Nettoäquivalenzeinkommen), die auf die obere und untere Hälfte der Einkommensbezieher entfallen, weisen seit 2005 ein stabiles Verhältnis von etwa 70:30 auf. Die Wirtschafts- und Finanzkrise (2008/09) hat offensichtlich das oberste Zehntel der Einkommensklassen insgesamt kaum getroffen: IhrEinkommensanteil blieb trotz der schärfsten Rezession seit der Nachkriegszeit bei etwa 37 Prozent des gesamten Einkommens. Die steigende Kluft zwischen öffentlichem und privatem Reichtum wird eindrucksvoll belegt: Während das Nettovermögen des deutschen Staates zwischen Ende 1999 und Ende 2015 um knapp 150 Milliarden Euro zurückging, ist das Nettovermögen der privaten Haushalte (einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck) im selben Zeitraum nominal um 4,8 Billionen Euro gestiegen (5. ARB, 45). Sortiert man die Haushalte nach der Höhe des Vermögens, dann verfügen die unteren 50 Prozent der Haushalte nur über rund 1 Prozent, die vermögensstärksten 10 Prozent der Haushalte aber über die Hälfte des gesamten Nettovermögens.

Nur sehr vorsichtig stellt der Bericht Beziehungen zwischen der starken Zunahme der Ungleichheit der Markteinkommen und Veränderungen des Arbeitsmarktes her. Zwar wird nicht in Abrede gestellt, dass Niedriglohnbeschäftigung, nachlassende Tarifbindung und die Zunahme atypischer Beschäftigung zu einer stärkeren Spreizung der Erwerbseinkommen beigetragen und bis in die Einkommensmitte zu Reallohnverlusten geführt haben (5. ARB, 53). Aber Zusammenhänge mit arbeitsmarktpolitischen Regulierungen werden nur punktuell angeführt und dann in ihrer Wirkung zugleich zeitlich entschärft. Deregulierungen im Bereich der Leiharbeit und geringfügig entlohnter Beschäftigung hätten bis zur Mitte der 2000er-Jahre zu einer Ausweitung dieser in der Regel niedrig entlohnten Beschäftigungsformen geführt, die sogenannten Hartz-Reformen aber – also die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II und die gleichzeitige Verkürzung der Anspruchsdauern für das Arbeitslosengeld – seien erst zu Beginn des Jahres 2005 und damit „erst in der Endphase der ausgeprägten gesamtwirtschaftlichen Lohnzurückhaltung in Deutschland“ (5. ARB, 64) in Kraft getreten.


5. Abstiegsängste der gesellschaftlichen Mitte

Eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit erhalten in dem Bericht die Entwicklungen in der gesellschaftlichen (Einkommens-)Mitte, dabei ist die Art der Kontrastierung von indikatorengestützter Empirie und der Deutung gesellschaftlicher Wahrnehmung auffällig (5. ARB 76ff; 112 ff.). Auf eine tendenzielle Erosion der Mittelschicht weist die zwischen Ende der 1990er- und Mitte der 2000er-Jahre zu beobachtende Polarisierung der Einkommensverteilung hin, der zufolge der Anteil der Bezieherinnen und Bezieher mittlerer Einkommen rückläufig war, während der Anteil der Armutsgefährdeten und der Einkommensreichen anstieg; in den Folgejahren stagnierte diese Relation (5. ARB 76 ff.). Zugleich sprechen die verfügbaren Daten für eine abnehmende Aufstiegsmobilität gemessen nach Einkommen, Bildungsstatus und Berufspositionen zwischen den Generationen. So hat die Ungleichheit der Lebensverdienste zwischen den Generationen deutlich zugenommen, während im Vergleich der Geburtsjahrgänge eine Abnahme der sozialen Mobilität im Berufsstatus – insbesondere für Veränderungen vom unteren an das obere Ende der Berufsskala – zu beobachten ist. Derartige Tendenzen, die auf eine ähnlich geringe Aufwärtsmobilität am unteren Rand der Einkommensverteilung wie in den USA hinweisen, sind bekanntlich seit Längerem Thema einer durchaus kontroversen Diskussion in den Sozialwissenschaften (Burzan 2009; Burzan/Berger 2010; Lengfeld/Ordemann 2016). In einigen Meinungsumfragen spiegeln sich diese Entwicklungen mit hohen Zustimmungen zu Aussagen, die eine steigende Schere zwischen Armut und Reichtum in Deutschland behaupten. Auch wenn diese Wahrnehmung – nach Sicht des ARB (108) – von der empirisch messbaren Realität nicht gedeckt werde, greift der Bericht Abstiegsängste der Mittelschichten auf, obschon der „Bereich der mittleren Einkommen […] üblicherweise nicht Gegenstand der Armuts- und Reichtumsberichterstattung ist“ (112 f.). Zur Deutung des mindestens zeitweise überproportionalen Anstiegs der Abstiegsangst in dieser Gruppe – der mit Bezug zur konkret erlebten Arbeitswelt nicht strukturell erklärbar sei – rekurriert der Bericht auf Annahmen, die der Mittelschicht Motive unterstellen, den erreichten Status gegen Aspirationen „von unten“ zu verteidigen. Die widersprüchliche Konstellation von (wenigstens deklarierten) egalitären Bildungschancen und steigenden Qualifikationsanforderungen im Arbeitsmarkt entwerte nicht nur den Distinktionswert von Bildung, sie erzeuge Ängste der Mittelschichten, die „vor allem mit der Unsicherheit der Übersetzung von Bildung in Einkommen zu tun“ haben (5. ARB 115). Und wenn das Versprechen sozialer Mobilität durch höhere Bildungsabschlüsse nicht mehr greift, dann stößt die Bildungsexpansion an ihre legitimatorischen Grenzen (5. ARB 116). In dieser vorsichtigen Diskussion unterschiedlicher Studien über mögliche Mentalitätsverschiebungen in der Mittelschicht – und gerade nicht in der Auseinandersetzung mit der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes – taucht im Bericht immerhin eine Ahnung vom Dilemma der Aktivierungspolitik auf, die – man darf wohl sagen: wider besseres Wissen – immer noch behauptet, mit der Bildungsexpansion steige automatisch die soziale Kohäsion (Münch 2015, 72). Einschlägige Studien zur längerfristigen Entwicklung von einkommens- und erwerbsbiografischen Daten zeigen, dass allein auf Wachstums- oder expansive Bildungspolitik setzende Beschwörungen von Chancengleichheit, „die nicht zugleich die Reduktion von Verteilungsungleichheiten thematisieren, [...] systematisch ins Leere“ laufen (Groh-Samberg/Hertel 2015, 32; Groh-Samberg 2007).

Im ARB werden sehr wohl die bekannten Zusammenhänge zwischen sozialer Lage und politischer Beteiligung angesprochen, so der seit Jahrzehnten beobachtbare Trend abnehmender Wahlbeteiligung bei Personen mit geringerem Einkommen. Der Bericht benennt die von Einkommen und Bildungsgrad abhängigen Chancen der Einflussnahme auf den politischen Prozess durchaus als „nicht-monetäre Formen von Armut und Reichtum“ (5. ARB, 171), aber zugleich werden damit zusammenhängende Fragen – weil sie das „ungelöste Dilemma der Demokratie“ spiegeln – als jenseits des für den 5. Armutsbericht relevanten Themenspektrums deklariert (5. ARB, 146 ff.). In dieses Bild passt, dass die Behandlung des ehrenamtlichen Engagements mehr Raum einnimmt als die der politischen Beteiligung (auch wenn die soziale Selektivität dieser Partizipationsform allen verfügbaren Daten nach ähnlich ausfällt). Und es ist gewiss nicht zufällig, dass die im Kontext der Erarbeitung des 5. Armutsberichts vom BMAS in Auftrag gegebene Studie von Lea Elsässer, Svenja Hense und Armin Schäfer (2016), die sich mit systematischen Verzerrungen politischer Entscheidungen zugunsten der Mittel- und Oberschicht befasst, im Bericht selbst nur fragmentarisch und durchgehend abgeschwächt berücksichtigt wird (LobbyControl 2017).


6. Verschwiegener Paradigmenwechsel der Arbeitsmarktpolitik

Der ARB enthält zum Thema Armut eine wiederkehrende Botschaft: Der wesentliche Schutz vor Armut ist die Erwerbsbeteiligung, nur leider hat die seit Jahren günstige Beschäftigungsentwicklung die armutsgefährdeten Personen und Haushalte noch nicht erreicht. Tatsächlich hatte Deutschland 2017 mit 79 Prozent EU-weit nach Schweden (82 Prozent) die zweithöchste Erwerbstätigenquote (Anteil aller Erwerbstätigen an der Bevölkerung im jeweiligen Alter) bei den 20- bis 64-Jährigen; im EU-Durchschnitt lag sie bei 72 Prozent. Dabei ist auch nach längeren Phasen des Rückgangs die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wieder gestiegen, im Mai 2016 lag sie bei rd. 31,4 Millionen gegenüber 26,7 Millionen im Herbst 2005. Allerdings ist das Arbeitsvolumen – die Gesamtzahl der in einem Jahr geleisteten Arbeitsstunden – in längerfristiger Perspektive nahezu konstant geblieben. Der Stand von 2015 bewegt sich etwa auf Höhe des Arbeitsvolumens von 1993 – bei einer Zunahme der Erwerbstätigen von gut 5 Millionen. Umgerechnet auf die Erwerbstätigen ist die Zahl der pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden von 2000 auf 2017 um rd. 7 Prozent zurückgegangen. Steigende Erwerbstätigkeit bei stagnierendem Arbeitsvolumen bedeutet, dass sich das Arbeitsvolumen auf mehr Köpfe verteilt. Dieser Trend verweist auf erhebliche Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes. Der Anteil von sogenannten Normalarbeitsverhältnissen bewegt sich in einer Größenordnung von rd. 40 Prozent aller Erwerbsfähigen (nach wie vor mit erheblichen geschlechtsspezifischen Unterschieden), zugleich fand grob gerechnet seit Mitte der 2000er-Jahre eine starke Ausweitung atypischer Arbeitsverhältnisse statt, die sich überwiegend im Niedriglohnsektor abspielt. „Die Niedriglohnbeschäftigung wuchs mithin nicht auf Kosten von Beschäftigungsverhältnissen mit höheren Löhnen, sondern auf Kosten des Anteils [bisher] inaktiver Personen.“ (Eichhorst et al. 2017, 27). Die Risiken atypischer Beschäftigung sind vielfach untersucht. Besonders bei befristeter Beschäftigung und Zeitarbeit besteht die Gefahr, dass Diskontinuitäten im Erwerbsverlauf und in der Folge im Einkommensbezug entstehen, die ungleiche Teilhabechancen am Arbeitsmarkt verfestigen (Thomsen et al. 2015, 179 f). In dieser Entwicklung spiegelt sich der mit den Hartz-Reformen unterstützte Pfadwechsel der Arbeitsmarktpolitik. Auf der Basis einer breiten Definition von Erwerbsfähigkeit (3 Stunden pro Tag) sollte dieser durch die Reduktion von Transferleistungen, der Einschränkung von Vorruhestandsprogrammen und einem strikten Aktivierungskurs in der Vermittlung dafür sorgen, „dass prinzipiell mehr Personen, auch solche mit Vermittlungshemmnissen, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“ (Eichhorst et al. 2017, 37). Diese Öffnung des Beschäftigungssystems hat über die Ausdifferenzierung von Erwerbsformen und verstärkte Lohnspreizung zu neuen Schließungsprozessen im Arbeitsmarkt zwischen chancenreichen und risikoreichen Qualifikations- und Berufsgruppen geführt.

Die strukturelle Komponente der Veränderungen im Arbeitsmarkt – und damit auch die der Armutspolitik – wird besser erkennbar, ordnet man sie in den längerfristigen Policy-Wandel der deutschen Arbeitsmarktpolitik ein, den Kaps et al. (2017) an den Regelwerken der Arbeitslosenversicherung und der Grundsicherung nachgezeichnet haben (2017). Der politische Umgang mit dem Problem Arbeitslosigkeit erfolgt durch zwei grundsätzlich komplementäre Sicherungssysteme. Die Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld I entsprechend Sozialgesetzbuch III) orientiert sich am Prinzip der Statussicherung; der Leistungsbezug ist an Höhe und Dauer der Beitragszahlungen gebunden und die Lohnersatzrate bildet (allerdings auf geringerem Niveau) die vorherigen Einkommensunterschiede der Versicherten ab. Bei der Grundsicherung für Arbeitslose (hier Arbeitslosengeld II entsprechend Sozialgesetzbuch II) soll – der Nachweis entsprechender Bedürftigkeit vorausgesetzt – das soziokulturelle Existenzminimum gesichert werden. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist das Prinzip der Statussicherung durch eine Reihe institutioneller Veränderungen abgeschwächt worden (Bothfeld/Rosenthal 2014; Knuth 2018). Wesentliche Schritte betrafen die Verschärfung von Konditionen des Erhalts von Versicherungsleistungen (Verkürzung der Rahmenfrist zum Nachweis von Beitragszahlungen, frühzeitige Arbeitslosmeldung, Nachweis von Bewerbungsaktivitäten, Verpflichtung zur Teilnahme an Aktivierungsmaßnahmen), die Reduzierung der Dauer des Leistungsbezugs (auf maximal 12 Monate), die Abschaffung der am Einkommensschutz orientierten Arbeitslosenhilfe und die Verschärfung von Zumutbarkeitsregelungen bei der Vermittlung. Die Grundsicherung für Arbeitslose – die im Schnitt etwa zwei Drittel aller Arbeitslosen betrifft – folgt der Fürsorgelogik und verlangt entsprechend der Nachrangigkeitsnorm dieser Transferleistungen eine vorrangige Berücksichtigung von sonstigen Einkommen des jeweiligen Haushalts. Aufgrund der Leistungshöhe und der Konditionen des Leistungsbezugs ist bei dem Arbeitslosengeld II – verglichen mit der früheren, steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe – der Schutz gegenüber den Zwängen des Arbeitsmarktes wesentlich abgeschwächt. Zum einen ist – wie vielfach von den Sozialverbänden und Gewerkschaften kritisiert – die Leistungshöhe nicht armutsfest. Nach Berechnungen des DGB liegt der Hartz-IV-Leistungssatz (Stand 2015) für nahezu alle betroffenen Haushaltstypen unter der Armutsrisikogrenze von 60 Prozent des Medianeinkommens (DGB 2017). Der Modus der Regelsatzberechnung ist im Effekt so ausgelegt, dass damit allenfalls die sogenannten Grundbedarfe, nicht aber die ebenfalls zum gesetzlichen Auftrag gehörende Ermöglichung einer „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ (SGB II § 20, 1) abgedeckt wird (Christoph 2016, 352).

Zum anderen individualisiert das Prinzip des Forderns (SGB II § 2) das Arbeitslosigkeitsrisiko; aus der von den Leistungsbeziehern verlangten Eigenverantwortung für die Erwirtschaftung ihres eigenen Lebensunterhalts wird die Bereitschaft zur Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt nahezu um jedem Preis abgeleitet. „Jenseits des Schutzes vor einer sittenwidrigen Beschäftigung besteht bis auf wenige Ausnahmen [...] keinerlei beruflicher Schutz hinsichtlich Qualifikation, Einkommen, Mobilitätsanforderungen oder Arbeitsbedingungen.“ (Kaps et al. 2017, 25).

Der hier nur angerissene normative Wandel einer zunehmenden Ökonomisierung von Arbeitsmarktpolitik findet seine organisationsstrukturelle Entsprechung in der primär betriebswirtschaftlichen Kalkülen folgenden Binnensteuerung der Bundesagentur für Arbeit (BA) über vorgegebene Kennzahlen der nachgeordneten Organisationseinheiten (Arbeitsagenturen, Jobcenter). Das von der BA entwickelte System einer wirkungsorientierten Zielsteuerung führt im Geltungsbereich des SGB III zu einer Verstärkung des Versicherungsprinzips, das sich auf die Wahrung der Interessen der Beitragszahler beruft. Im Geltungsbereich des SGB II dominieren kurzfristige Interventionen – zumeist zugunsten der „Kunden“ mit geringeren Vermittlungsproblemen – und fallweise ergänzt durch eher symbolische, aus den Eingliederungstiteln der Jobcenter und nicht aus Bundesmitteln finanzierte Bundesprogramme. Beide Rechtskreise stehen unter dem Druck der Haushaltskonsolidierung, der die Entwicklung und den Einsatz nachhaltiger Förderinstrumente strukturell begrenzt. Dieser Rückzug des Bundes aus der Finanzierungsverantwortung der Arbeitsmarktpolitik kann jedenfalls nicht mit Blick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes selbst legitimiert werden (Kaps et al. 73 f.). Im Gegenteil: „Vielmehr würden die fortschreitende Digitalisierung zahlreicher Tätigkeitsbereiche, die hohen Beschäftigungsrisiken gering Qualifizierter [...] und die Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit eher eine Expansion als einen Rückbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik rechtfertigen.“ Im Langzeitvergleich haben sich die Polarisierungen am Arbeitsmarkt zwischen Insidern und Outsidern verfestigt und die Arbeitsmarktpolitik kompensiert das nicht, sondern trägt mit ihrem Instrumentenzuschnitt selbst dazu bei, in dem sich Inklusionsrhetorik und Exklusionseffekte verschränken (Knuth 2018).


7. Arbeit als Epizentrum der sozialen Frage

Anknüpfend an „Die Metamorphosen der sozialen Frage“ (1995) hat Robert Castel in „Die Krise der Arbeit“ (2011) wesentliche Tendenzen der Transformation des Industriekapitalismus aktualisierend hervorgehoben. Politisch gesehen war der Industriekapitalismus eine reformistische Antwort auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit, die unter den Bedingungen des Wirtschaftswachstums die Logik des Klassengegensatzes durch eine geregelte Konkurrenz von Berufsgruppen ersetzte. Damit war soziale Ungleichheit nicht aufgehoben, aber die Gesellschaft organisierte sich durch ein Kontinuum von Einkommens- und Rechtspositionen „die sich unterscheiden und gleichzeitig einen Zusammenhang bilden“ (Castel 2011,13). Dieser Zusammenhang ergab sich wesentlich aus der Eingliederung der Lohnabhängigen in Systeme der kollektiven Gewährleistung von Beschäftigung und sozialer Sicherung. Die Schutzfunktion der auf Kollektivverträgen beruhenden Arbeitsgesellschaft setzte eine fortschreitende Entindividualisierung der Arbeitsbeziehungen voraus. Demgegenüber wird das neue Regime des postindustriellen Kapitalismus durchgehend von Entkollektivierungs- und komplementär Re-Individualisierungstendenzen beherrscht. Als vielfach belegte Indikatoren dieses Prozesses sei auf den sinkenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad, abnehmende Tarifbindung und Flexibilisierung von Arbeitsorganisation und Beschäftigungsformen verwiesen. Im Zuge dieser Entwicklung bildet sich eine „hybride Zone zwischen Arbeit und Nichtarbeit, Absicherung und Unterstützung, Integration und Entkoppelung“ (ebenda, 24) heraus. Im Rahmen einer aufwändigen Längsschnittanalyse auf der Basis von Daten des Sozioökonomischen Panels gehen Allmendinger et al. (2018) davon aus, dass sich selbst bei konservativer Betrachtung etwa 12 Prozent der Erwerbstätigen in der von Niedriglohn, mangelnder sozialer Absicherung und Arbeitsplatzunsicherheit geprägten Zone anhaltender Prekarität bewegen.

Die Ausbreitung von Prekarität als sozialer Lage betrifft Arbeit als Epizentrum der sozialen Frage. Wir sollten – so Castel – die Probleme, die sich scheinbar an der Peripherie einer Gesellschaftsformation stellen, als solche verstehen, „die nicht nur mit dem zu tun [haben], was sich an den Peripherien abspielt [...], sondern genauso viel mit dem, was in der Mitte der Gesellschaft [...] geschieht“ (Castel 2011, 51). Die mit den Entkoppelungstendenzen ausgelösten Schockwellen im Epizentrum der Arbeit übertragen sich auf die verschiedenen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens; aktuell verdichten sie sich Castel zufolge in zwei spezifischen Konstellationen. Die eine bezieht sich auf die territoriale Ausformung sozialer Ungleichheit und zeigt sich ebenso in der Entstehung städtischer Problemgebiete wie in der sozialräumlichen Abkoppelung ländlicher Regionen durch den Rückbau von Infrastrukturen (Goebel/Hoppe 2015; Vogel 2009; Kirsten et al. 2012). Die zweite Konstellation betrifft die in der französischen Debatte als question ethnique bezeichneten Praktiken negativer Diskriminierung (Castel 2009). In beiden Fällen – der Neuordnung des Raums ebenso wie der der ethnisierenden Diskriminierung – handelt es sich um eine Überdetermination der sozialen Frage (Castel 2011, 42; für deutsche Verhältnisse deutet die Empirie der sozialräumlichen Segregation bisher auf eine Dominanz der sozialen Ausgrenzung, vgl. Goebel/Hoppe; Häußermann 2018).

640px Punch 1843 Reichtum und Armut„CAPITAL AND LABOUR“. Karikatur aus der englischen Zeitschrift „Punch“ aus dem Jahr 1843, Quelle: Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Wir befinden uns in einem Verfall der Arbeitsgesellschaft, der zu einer Re-Kommodifizierung der Arbeitsverhältnisse führt. Das bedeutet nicht das Ende der Lohnarbeit – im Gegenteil führen die Tendenzen zu einer Gesellschaft der Vollerwerbstätigkeit, die keine der Vollbeschäftigung mehr wäre. Zu befürchten ist, dass mit der Ausdehnung atypischer Beschäftigungen Unsicherheit selbst zu einer Organisationsform von Arbeit wird (Dörre 2009; Dörre 2014). In funktionaler Perspektive haben die vielfältigen Strategien der Eröffnung atypischer Beschäftigungen, die mit dem gewerkschaftlichen Leitbild „guter Arbeit“ nichts mehr gemein haben, eine eigene Rationalität. Denn solange der Markt seiner Eigendynamik überlassen bleibt, „besteht die einzige Möglichkeit einer bewussten Politik darin, dass man versucht, die Nichtbeschäftigung durch die Schaffung neuer Formen der Unterbeschäftigung abzubauen“ (Castel 2011, 138 f.). Legitimatorisch sollen diese Strategien durch Work-First-Semantiken einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik abgesichert werden. Vor diesem Hintergrund scheinen für die von Prekarisierungsprozessen Betroffenen Verhältnisse auf, die denen des frühen Industrieproletariats oder sogar vorindustrieller Gesellschaften ähneln (Castel 2011, 138). Das Argument von Castel geht indes über diese zeitdiagnostische Einordnung hinaus; die Transformation des Kapitalismus ist eine Rückkehr von Gesetz zum Kontrakt, die das Arbeitnehmerverhältnis in ein reines Warenverhältnis verwandelt, bei dem letztlich nur noch der Marktpreis den Verkauf von Arbeitsfähigkeit bestimmt (konkrete Formen dieser Entwicklung im Rahmen eines ‚digitalen Kapitalismus’ werden von Jürgens et al. 2017 diskutiert). Gravierender als die damit erzeugte exorbitante Einkommensungleichheit ist die Aushöhlung des Arbeits- und Sozialrechts. „Mit der Aushöhlung des Beschäftigungsbegriffs geht der nichtkommerzielle Kern des Arbeitnehmerverhältnisses und damit das Sozialeigentum verloren, jene Garantie von sozialen Sicherungen und Rechten, die der großen Mehrheit der Lohnabhängigen ein Mindestmaß an wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unabhängigkeit gesichert hatte.“ (Castel 2011,140)


8. Wiederkehr des Verdrängten?

Die Argumentation von Castel soll noch einmal aus einer anderen Perspektive aufgegriffen werden. Der inkrementelle Wandel der Arbeitsmarktpolitik durch die spezifische Modifikation von Instrumenten und ihrer Umsetzung vor und nach „Hartz IV“ führte zu einer Neugewichtung der institutionellen Grundprinzipien des Sicherungssystems bei Arbeitslosigkeit, die im Kern eine Abkehr von dem zentralen Ziel der Statussicherung bedeutet. In dem meritokratischen Sozialmodell der Erwerbsgesellschaft sind „mit dem sozialen Status, der sich […] aus dem beruflichen Status, der Arbeitsmarkt- und Einkommensposition speist, substanzielle soziale Rechte verknüpft […], die mit der Zugehörigkeit zur Mittelschicht einhergehen“ (Bothfeld/Rosenthal 2014, 205). Folgt man dieser Sichtweise, dann artikuliert sich in der Debatte über Armut und Armutsrisiken implizit immer auch ein Widerstand gegen die wahrgenommene Schwächung zentraler gesellschaftlicher Institutionen, „eine auf die Mittelschicht ausgerichtete Sozialstruktur zu reproduzieren“ (Barlösius 2001, 91).

Was das politisch bedeuten könnte, klingt in der Armuts- und Reichtumsberichterstattung allenfalls indirekt an, obschon es genau in die Strukturen eingelassen ist, die die neuen Ungleichheiten hervorbringen. Mit der sozialen Entkoppelung der Unterschichten und zunehmenden Statuskonkurrenzen in den Mittelschichten verschieben sich die Grundlagen für politische Mobilisierungen. Wenn Gewerkschaften und die Sozialdemokratie in den Unterschichten keine strategischen Bündnispartner mehr zu finden meinen, dann – so formulieren Groh-Samberg et al. (2018, 354 f.) sehr vorsichtig – „entsteht eine Konstellation, in der eine neue politische Klassenkoalition zwischen den bürgerlichen Gegnerinnen und den prekären Verliererinnen der aktuellen Ungleichheitsdynamiken möglich erscheint“. Gemeint sind damit natürlich Lagerbildungen, die dem Bild vom Extremismus der Mitte entsprechen. Claudia Koppetsch geht dem anhand der These nach, dass die Resonanzfähigkeit rechtspopulistischer Bewegungen wesentlich durch Erfahrungen sozialer Deklassierungen hervorgerufen wird und derartige Protestformen „Bewältigungsstrategien für soziale Geltungsverluste und Entwertungserfahrungen“ darstellen (2017, 209). Der Aufstieg von Rechtsparteien gilt ihr als der sichtbarste Beweis einer Wiederkehr gesellschaftlicher Konflikte; er markiert einen Klassenkonflikt zwischen auf- und absteigenden Fraktionen innerhalb der Mittelschicht (212). Einerseits haben sich die aufstrebenden postindustriellen Mittelschichten durch Aneignung eines kulturkosmopolitischen Lebensstils an die Spitze des wissens- und innovationsgetriebenen Kapitalismus vorgearbeitet und fungieren damit als Betreiber einer durch exklusive Lebensstile und hochpreisige Stadtquartiere forcierten sozialen Schließung (Koppetsch 2018, 57). Andererseits sind einstige Trägergruppen der Industriemoderne – wie kleine Selbständige, Facharbeiter und Handwerker in der Produktion – von Abstiegswellen im Zuge der neoliberalen Transformation aller gesellschaftlichen Institutionen bedroht. Für abstiegsgefährdete Gruppen sind nun vorerst nicht die materiellen, sondern die sozialmoralischen, von Gefühlen der Entfremdung und Ressentiments begleiteten Auswirkungen von Deklassierung ausschlaggebend. Dies macht sie anfällig für die von rechtspopulistischen Bewegungen angebotene Entlastungssemantik in Gestalt von Elitenkritik und Ablehnung dessen, was als individualistischer Mainstream erlebt wird (2017; 235 ff.). Wesentlich für die von Koppetsch vorgeschlagene Diagnose ist die Annahme, dass die Dynamik der neuen Ungleichheiten nicht als Klassen-, sondern als Kulturkonflikt ausgetragen wird. Aber vielleicht werden mit der Rede von einem Kulturkonflikt die materiellen Interessenlagen der von faktischen oder befürchteten Abstiegsprozessen Bedrohten unterschätzt. Philip Manow warnt davor, grundlegende Verteilungs- und Knappheitsfragen zu verdecken, die zu (linkem oder rechten) populistischem Protestverhalten führen können, „etwa Fragen nach den Gewinnern und Verlierern von Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit, Fragen, die zu stellen eine (deutsche) Mittelschicht nicht mehr für schicklich hält, auch weil sie mit ihrer lebensweltlichen Realität kaum mehr Berührungspunkte aufweisen“ (Manow 2018a, 8; er skizziert in diesem Zusammenhang, wie eine politische Ökonomie des Populismus ansetzen könnte, Manow 2018b).

Was immer man an dem Verhältnis von interessenbedingten sozialen Lagen und kulturell vermittelten Gesellschaftsbildern stärker akzentuieren möchte – für die in diesen Konflikten aufscheinenden Konstellationen scheinen zeitdiagnostische Deutungen nicht abwegig, die von einer „Wiederkehr des Verdrängten“ sprechen (Wacquant 2009). Nicht nur für Castel handelt es sich um Phänomene einer paradoxen Modernisierung, die überwunden geglaubte Formen der Vergesellschaftung wieder in Geltung setzt. Das gilt gleichermaßen für die Ausbildung einer auf monetären Anspruchstiteln beruhenden Reichtumsoligarchie, die mit den Regeln einer bürgerlichen Wettbewerbsordnung nicht mehr erklärbar ist, wie für die Ausbreitung ständischer Muster der Vererbung des sozialen Status und die gegenseitige Abschottung von Sozialgruppen in untereinander vollkommen unvergleichbaren Lebenslagen (Neckel 2013, 43 f.). Eine Facette dieser Konstellation stellt gewiss der hilflose Antipopulismus dar (Jörke/Selk 2015), der die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus in Gestalt von Stilkritik führt, statt sich politisch auf die Probleme strukturell erzeugter Ungleichheiten einzulassen.


Literatur

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Bildnachweis:

Graffiti Armut: struschi, flickr, Lizenz CC BY-NC-SA 2.0
Aktionsposter: OSeveno, Wikimedia Commons, Lizenz CC BY 4.0
Karikatur "Capital and Labour": Wikimedia Commons

 

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