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Philip Manow: Die Politische Ökonomie des Populismus

30.10.2019
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Autorenprofil
Dr. Henrik Scheller
Berlin, Suhrkamp Verlag 2018

Populismus hat sich mittlerweile zu einem weltweiten Phänomen mit folgenreichen Auswirkungen für die liberalen Demokratien westlicher Prägung entwickelt. Mit der inflationären Verwendung des Begriffs ist seine eigentliche Bedeutung allerdings nicht klarer geworden. Im Gegenteil: Er ist mittlerweile fast schon ein politischer Kampfbegriff, der dazu dient, destruktive Einstellungen zu brandmarken, die sich meist im Wir-gegen-die-Modus gegen die etablierten politischen Systeme und Eliten richten. Dass dabei Parteien und Bewegungen sowohl des rechten als auch des linken Spektrums gleichermaßen unreflektiert mit dieser Bezeichnung belegt werden, erschwert die analytische Auseinandersetzung mit diesem Phänomen umso mehr. Selbst wenn zwischen entsprechenden Gruppen beider Lager inhaltliche Schnittmengen bestehen, so gründet die Schwäche der etablierten politischen Kräfte genau in dieser Undifferenziertheit, die nicht selten durch einen Moralismus überhöht wird.

Philip Manow setzt mit seinem präzisen, pointierten und klugen Band einen analytisch brillanten Kontrapunkt zu dieser oftmals ohnmächtigen Auseinandersetzung mit dem Populismus in Politik und Medien. Denn der Autor macht zwei gravierende Mängel in der Debatte aus: ein Theoriedefizit und einen „Moralüberschuss“ (10). Nicht umsonst werde die Debatte im „Modus der Grabrede“ (8) geführt – gleiche einem hilflosen Abgesang auf die Demokratie. Die eigentlichen Gründe dafür sieht er zum einen darin, dass über Populismus in ganz überwiegendem Maße geredet wird, „ohne zugleich über Kapitalismus zu sprechen“ (9). Zum anderen fehle es – wie könnte es bei einem Vertreter des Faches der vergleichenden politischen Ökonomie anders sein – an einem systematischen Vergleich diverser Populismen sowie eines entsprechenden Analyserahmens.

Gerade die Verbindung, die Manow zwischen Populismus und Kapitalismus herstellt, macht das Buch so verdienstvoll. Denn obwohl eine Vielzahl der heutigen politischen Herausforderungen den spezifischen Funktions- und Wirkweisen des kapitalistischen Wirtschaftssystems geschuldet sein dürfte, gelingt es vor allem der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik bis heute nur punktuell, entsprechende Zusammenhänge systematisch zu analysieren. Mit seinem Ansatz folgt Manow seinem Kollegen Dani Rodrik. Er verwendet dabei bewusst nicht das allenthalben be- und inzwischen entsprechend abgenutzte Schlagwort vom „Neoliberalismus“, sondern knüpft vielmehr an die von Peter Hall und David Soskice geprägte Konzeption der varieties of capitalism an.

Indem Manow sich in diese Tradition stellt und damit übrigens auch die gängige und ebenfalls pauschalierende Modernisierungsverlierer-These von Tim Spier verwirft, spannt er den Analyserahmen für ein deutlich breiteres Bündel möglicher Ursachen verschiedener Populismus-Ausprägungen auf. Denn mit dem zentralen Argument, dass unterschiedliche Formen des Populismus auf geografisch variierende Ausprägungen der Wirtschaftssysteme der Nationalstaaten zurückzuführen sind, zieht Manow auch die Erklärungskraft anderer landläufiger Ansätze in Zweifel. So handele es sich bei Populisten eben nicht „nur“ um inhaltsleere und gegen das Establishment gerichtete Empörungsbewegungen, Verlierer des Strukturwandels oder um einen Ausfluss einer neuen Demarkationslinie (cleavage) zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen.

Trotz der Kritik an der allgemeinen, meist pauschalierenden Populismus-Debatte widmet sich Manow in Abschnitt 2 zunächst grundlegend und definitorisch seinem Untersuchungsphänomen. Allerdings richtet er sich auch hier bereits mehrfach gegen Formen der (reinen) Pathologisierung, der Kulturalisierung oder Moralisierung des Phänomens, indem er den Positionen prominenter Verfechter dieser Ansätze sein Verständnis entgegensetzt, dass eine Betrachtung verschiedener Kapitalismen erforderlich sei, um „die unterschiedlichen Populismen zu erklären“ (36).

In Abschnitt 3 entwickelt er dann mit Bezugnahme auf Dani Rodrik sein zentrales Argument, wonach Populismus eine Protestartikulation derjenigen sei, „die sich durch die Globalisierung benachteiligt oder bedroht sehen“ (43). Globalisierung müsse dabei allerdings differenziert, in den verschiedenen Ausprägungen einer grenzüberschreitenden Bewegung von Gütern, Geld und Personen erfasst werden. So werde „Migration […] dort politisch zum Problem, wo der Wohlfahrtsstaat großzügig und zugänglich“ sei, also in Kontinental- und Nordeuropa (19). Die südeuropäischen Länder hingegen seien weniger exportorientiert, stärker auf die Binnennachfrage ausgerichtet und mit sozialstaatlichen Systemen ausgestattet, die vornehmlich auf Arbeitsmarkt-Insider ausgerichtet seien. Da Zuwanderer angesichts dieser spezifischen Ausprägungen kaum von Sozialleistungen profitieren würden, richte sich dort eine eher links-dominierte Ausprägung des Populismus – anders als der Wohlfahrtsstaats-Chauvinismus im Norden – vornehmlich gegen die neoliberale Wirtschaftsordnung und ihre negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt (negative Entwicklung der Lohnschere, Prekarisierung, Jugendarbeitslosigkeit etc.).

Mit dieser theoretischen Grundlegung wendet sich Manow in Abschnitt 4 ausführlich dem Rechtspopulismus in Deutschland zu. Auch hierzu diskutiert er zunächst kritisch die gängigen Erklärungsansätze zum Aufstieg der AfD. Anhand von kartografischen Darstellungen kann Manow dabei nachweisen, dass die AfD ihre Erfolge bei der Bundestagswahl 2017 nicht nur in einer wirtschaftlichen Boomphase, sondern noch dazu in durchaus wirtschaftsstärkeren Regionen einfuhr – überzeugende Indizien, dass die Modernisierungs- und Globalisierungsverlierer-These allenfalls bedingt trägt. Allerdings gesteht selbst Manow zu, dass die AfD „einen auch in methodischer Hinsicht“ (82) herausfordere. Denn offenbar sind für AfD-Wähler – mit deutlich höheren Stimmenanteilen bei Männern und Arbeitern im Osten – „Reminiszenzen“ (100) an eigene Arbeitslosigkeitserfahrungen in Kombination mit Ängsten vor möglichen sozialpolitischen Folgen der Zuwanderung die zentralen Wahlmotive im Jahr 2017 gewesen. Das Zusammenspiel beider Faktoren habe dabei als Auslöser einer schon lange davor wahrgenommenen Verteilungsungerechtigkeit gewirkt, die dann in Form eines Protests an der Wahlurne artikuliert wurde.

In den beiden letzten Kapiteln unterzieht Manow seine zentrale These und seinen theoretischen Ansatz, indem er die Motivlagen der populistischen Bewegungen und Parteien der europäischen Nachbarstaaten analysiert. Dabei orientiert er sich an Gøsta Esping-Andersens einschlägiger Kategorisierung verschiedener Wohlfahrtsstaatsmodelle. Mit Blick auf die osteuropäischen Staaten zeigt sich dabei – entgegen der Erwartungen –, dass auch dort vor allem die Arbeitsmarkt-Insider eher als die ländlichen Regionen und die „Zurückgelassenen“ populistisch wählen (118). Manow gesteht an dieser Stelle selbstkritisch gewisse Unschärfen in seiner Kategorisierung ein – ein Umstand, der verkraftbar scheint, da er mit Blick auf den Umfang der gesamten Studie vor allem die Grundlegung für einen alternativen Analyse- und Erklärungsansatz schaffen will.

Dies gilt letztlich auch für die Schlüsse, die die Leserinnen und Leser aus Manows Analyse selber ziehen müssen. Indem der Ansatz im Wesentlichen eine Differenzierung in der Wahrnehmung eines Phänomens erlaubt, liefert er natürlich noch keine Ansätze, wie den negativen Auswirkungen in der politischen Praxis begegnet werden kann. Gleichwohl lässt sich aus Manows letztem Hinweis eine klar kapitalismuskritische Botschaft herauslesen, die sich insbesondere an die EU und das ihr zugrundeliegende Markt- und Globalisierungsmodell richtet: „Die politische Unterstützung für dieses Projekt scheint rapide zu schwinden, ohne das bislang klar wäre, wie ein weitgehend verselbstständigtes Integrationsregelwerk und ein abnehmender politischer Konsens dafür in Zukunft wieder stärker in Übereinstimmung zu bringen wäre“ (138).

 

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Das Phänomen des Populismus beherrscht die politische Debatte und fordert weiterhin die Sozialwissenschaften heraus. Drei, in ihrem Anspruch und Stil unterschiedliche Werke, die das Forschungsfeld bereichern, stellt Jan Achim Richter in diesem Literaturbericht ausführlich vor: ein Handbuch zum Stand der Forschung („Political Populism“), eine essayistische Betrachtung des Verfalls der politischen Sprache („Der Sound der Macht“) sowie eine Art Selbstversuch zu Meinungsbildungsprozessen in sozialen Medien und deren Auswirkungen auf die Demokratie („Fake statt Fakt“).
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Aus der Annotierten Bibliografie

Tim Spier

Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010; 302 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-531-17699-4
Diss. Göttingen; Gutachter: P. Lösche, F. Walter. – Heißt es im Fall extrem rechter Gewalttaten häufig, die Täter kämen vermutlich aus schwierigen Familienverhältnissen, so wird zur Erklärung der Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien oftmals die These geäußert, es handele sich bei den Wählern dieser Parteien um Modernisierungsverlierer. Spier entwirft ein Modell der Wahl rechtspopulistischer Parteien und überprüft die genannte These empirisch auf der Basis von Umfragedaten für Westeuro...weiterlesen

 

Stuart Hall

Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Hrsg. von Victor Rego Diaz, Juha Koivisto und Ingo Lauggas

Hamburg: Argument 2014 (Ausgewählte Schriften 5); 259 S.; 19,- €; ISBN 978-3-88619-323-3
Im fünften Band der Ausgewählten Schriften des kürzlich verstorbenen Stuart Hall werden Aufsätze und Interviews versammelt, die sich grob um den Zusammenhang von Staat und Gesellschaft in Verbindung mit hegemonialen Verschiebungen und populistischen Artikulationen gruppieren lassen. Hall, der die theoretische Arbeit schon immer mit politischer Analyse verbunden hat, zeigt darin die Mechanismen der Hegemonie und ihre Verflechtung in Ideologie und alltäglicher Wahrnehmung ebenso...weiterlesen


 

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