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Helmut Brandstätter: Kurz & Kickl. Ihr Spiel mit Macht und Angst

23.09.2019
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Autorenprofil
Vincent Wolff, M.P.P.
Wien, Verlag Kremayr & Scheriau 2019

„Es begann mit heiligen Schwüren und endete mit düsteren Drohungen“ (21), beginnt Helmut Brandstätter seine Ausführungen über die türkis-blaue Koalitionsregierung unter Sebastian Kurz. Österreich hat in den vergangenen Jahren zahllose Skandale und Aufreger erlebt, doch dieses Werk hat beachtliche Wellen geschlagen. In dem Buch rechnet der langjährige Chefredakteur und Herausgeber der liberalen österreichischen Tageszeitung „Kurier“ mit der Koalitionsregierung zwischen der Liste Kurz (vormals ÖVP) und der FPÖ ab. Brandstätter zeichnet dabei minutiös die Entwicklungen vom Wahlkampf bis hin zum Bruch der Koalition durch die Ibiza-Videos nach.

Für Brandstätter nimmt der vormalige Innenminister Herbert Kickl in den politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre in Österreich eine Schlüsselrolle ein. Der Kampagnenchef sei in der FPÖ eine Konstante seit Jörg Haider. Kickl verantwortete die Slogans und Wahlkämpfe, die Haider und Strache zum Erfolg führten. Als zentrales Element des Wirkens Kickls identifiziert der Autor das Thema Angst. Kickl habe seine politischen Ziele von langer Hand geplant – und im Gegensatz zu dem konservativen Jungpolitiker Sebastian Kurz tatsächlich eine Vision.

Der FPÖ sei zupassgekommen, dass Kurz die ÖVP komplett umgekrempelt und entideologisiert habe. Was Kurz in den vergangenen Jahren gelang, ist für österreichische Verhältnisse in der Tat einzigartig. Die Alpenrepublik war jahrzehntelang ein Paradebeispiel des Korporatismus, in dem zahlreiche politische Gruppen um komplexe Einflüsse kämpften. Nicht wenige Parteichefs scheiterten an der Macht von Verbandsvertretern und Landeshauptmännern. Dies sollte sich mit Kurz grundlegend ändern, der erfolgreich die traditionelle Volkspartei übernahm und wichtige Entscheider de facto in die Bedeutungslosigkeit entließ. Der Rest der Partei wurde unter eine strikte Message Control gestellt, die nach außen nur vorbereitete Statements verlautbaren lassen sollte. „Die Show läuft permanent. Aber das reicht nicht“ (37), schreibt Brandstätter. Jede nicht-positive Meldung, die medial verbreitet wurde, hatte umgehende Konsequenzen für die Medienvertreter. Medien wurden von Veranstaltungen ausgeladen, Journalisten telefonisch unter Druck gesetzt und offen gewarnt. An dieser Stelle wird das Buch besonders spannend – Brandstätter berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen mit führenden Vertretern der Liste Kurz und auch mit Sebastian Kurz persönlich. Über die Jahre hat er den Jungpolitiker gut kennengelernt und zeichnet ein vernichtendes Charakterprofil von Kurz. Er sei kontrolliert, habe ein loyales Team um sich geschaffen und sei beinahe zwanghaft davon besessen, geliebt zu werden. Jede nicht erwiderte Liebesbekundung sei für ihn ein dramatisches Ereignis.

So passte die Zusammenarbeit mit der FPÖ recht gut. Kurz wollte Macht – und die FPÖ wollte gestalten. Daher sei es kein Zufall gewesen, dass das Innenministerium solch eine hohe Bedeutung für die Partei gespielt habe. Es ist die „ideale Schaltstelle [...], um einen autoritären Staat aufzubauen“ (49). Kickl habe von Anfang an Ambitionen auf das Amt des Innenministers angemeldet, so Brandstätter. Zwar sei Strache zuerst im Rennen gewesen, aber von der Doppelbelastung der Parteiführung und des Ministeriums abgeschreckt gewesen.

All dies untermalt der Autor mit Beispielen aus der näheren Vergangenheit. So habe die FPÖ nie einen Hehl daraus gemacht, was sie wolle – einen Staat à la Orbán in Ungarn. Zudem sei die Partei intern und strukturell nicht anders aufgestellt als noch zu Haiders Zeiten. Führende Posten werden von rechtsradikalen Burschenschaftlern übernommen, zahlreiche rassistische, antisemitische und sonstige „Einzelfälle“ prägen das Bild und bis heute seien die Nachwehen der Gründungsgeschichte, die Dominanz von Alt-Nazis, präsent.

Es sei somit nicht überraschend, dass die FPÖ zu autoritärem Wirken greife, sobald sich die machtpolitische Chance dafür ergibt. Für Brandstätter spielt der Skandal um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) dabei eine Schlüsselrolle. Ende Februar 2018 stürmten Polizeibeamte das Gebäude des BVT. Später stellte sich heraus, dass dies offenbar von Kickl so orchestriert wurde. Kickl wollte missliebige Beamte loswerden und wohl FPÖ-belastende Dokumente erlangen. Dies misslang, führte aber dazu, dass internationale Geheimdienste ihre Zusammenarbeit mit Österreich beendeten – zu groß war die Sorge um politische Einflussnahme und die Nähe zur russischen Regierung.

Brandstätter führt die Leser*innen anschließend auf eine kurze Reise durch verschiedene Politikfelder, in denen die Handschrift von FPÖ und ÖVP am klarsten hervortritt. Dabei gelingt es ihm geschickt, eine Verbindung zur ersten blau-schwarzen Regierung unter Wolfgang Schüssel aufzuzeigen und die Korruption in eine längere Traditionslinie zu stellen. Unter dem Strich steht für Brandstätter fest: „In Wirklichkeit war diese Regierung der Beginn des Weges in eine autoritäre Republik.“ (22)

Insgesamt ist diese Publikation eine beeindruckend detaillierte Abrechnung mit der Regierung von Sebastian Kurz. Die Veröffentlichung des Buches hatte für den Verfasser erhebliche persönliche Auswirkungen: Er ist nicht mehr Herausgeber des Kurier, sondern tritt jetzt – durchaus konsequent – für die liberale Partei NEOS bei der nächsten Nationalratswahl an. Den Leser*innen zeigt sich allerdings ein erschreckendes Bild: Die FPÖ wurde dank der Veröffentlichung der Ibiza-Videos zwar von ihrem Unterfangen abgebracht, allerdings steht sie bereits für die nächste Koalition mit Kurz in den Startlöchern. Nach der Lektüre scheint die Lage in Österreich wenig hoffnungsvoll. Politische Beobachter in anderen europäischen Ländern sollten zu diesem Buch greifen, um sich die Auswirkungen einer Regierungsbeteiligung rechter Parteien vor Augen zu führen – und die kommenden Entwicklungen in der Alpenrepublik genau verfolgen.

 

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Nina Horaczek und Barbara Tóth legen den Karriereplan des konservativen Politikers Sebastian Kurz offen, der es als Bundeskanzler an die Spitze der Alpenrepublik geschafft hat. Er sei ein „typisches Produkt seiner Generation“, schreiben sie, die „nicht auf Revolution, sondern auf Aufstieg durch Anpassung“ setze. Wichtige politische Erfahrungen habe er in Wien gesammelt, eigentlich einer SPÖ-Hochburg, ohne sich dabei von der ÖVP völlig vereinnahmen zu lassen. Auffällig sei, dass Kurz keine Grundsatzpositionen vertrete, die unumstößlich seien – er sei vor allem ein „Effektpolitiker“.
weiterlesen

 


Lektüre

Michael Bonvalot
Die FPÖ – Partei der Reichen
Wien, Mandelbaum 2017

 

Nikolaus Dimmel / Tom Schmid (Hrsg.)
Zu Ende gedacht. Österreich nach Türkis-Blau
Wien, Mandelbaum 2018

 

Robert Misik
Herrschaft der Niedertracht: Warum wir so nicht regiert werden wollen!
Wien, Picus Verlag 2019

 

Bastian Obermayer / Frederik Obermaier
Die Ibiza-Affäre: Innenansichten eines Skandals
Köln, Kiepenheuer & Witsch 2019

 

Antonia Kreppel
Immer wieder Rechtswalzer – Österreich nach „Ibizagate“ und vor der Neuwahl
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Fünfteilige Reportagereihe zum Rechtsruck in Österreich

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