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Aladin El-Mafaalani: Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt

09.09.2019
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
Köln, Kiepenheuer + Witsch 2018

Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Rezension war nicht leicht zu schreiben, verfolgt der Rezensent doch den Anspruch, stets ein wohlmeinender Besprecher zu sein und jedem Buch zunächst einmal positiv zu begegnen. Zum anderen soll neben der nüchternen Wiedergabe der Kerninhalte auch die persönliche Einschätzung erkennbar einfließen. Alle drei Aspekte lassen sich diesmal nicht voll ausbalancieren.

Zunächst zum Inhalt: Eigentlich lässt sich das Buch im Wesentlichen auf folgendes Kernzitat reduzieren: „Wenn Integration oder Inklusion oder Chancengleichheit gelingt, dann wird die Gesellschaft nicht homogener, nicht harmonischer und nicht konfliktfreier. Nein, das Gegenteil ist viel wahrscheinlicher. Die zentrale Folge gelungener Integration ist ein erhöhtes Konfliktpotenzial.“ (76) Die Begründung dafür ist schnell gegeben: Gestiegene Integration steigert Selbstbewusstsein, und Souveränität nährt Forderungen nach noch mehr Teilhabe beziehungsweise, weiter gefasst, nach mehr Mitsprache bei der Diskussion um gesellschaftliche Spielregeln. An der Wahrnehmung von kulturellen Symbolen kann man dies schön verdeutlichen: Solange Kopftuchträgerinnen als Putzfrauen arbeiteten, war dies für die deutsche Mehrheitsgesellschaft in Ordnung. Als aber kopftuchtragende Frauen als gebildete Lehrerinnen oder Managerinnen in Erscheinung traten, wurde dies zum gesellschaftlichen Konflikt (86).

Die von Popper postulierte und erstrebenswerte „Offene Gesellschaft“ ist also kein Paradies, kein finaler Zustand gesellschaftlicher Glückseligkeit, sondern ein Ort zähen und mühsamen Ringens. Für Aladin El-Mafaalani ist ein erstarkender, gegen die Offenheit gerichteter Rechtspopulismus ein Beleg dafür, dass Integration gelingt und dass die Welt sich im Innern wie im Äußeren wandelt. Der gefühlte Heimatverlust etwa habe mehr mit Digitalisierung, Strukturwandel und der politischen Vernachlässigung des ländlichen Raums zu tun als mit Migranten (165). Mit solchen Hinweisen will er nach eigenem Bekunden Mut machen, ja, es ist im Vorwort gar die Rede von einem „Versprechen“, die richtigen „Waffen“ (10) gegen Demagogen zu bieten.

So weit, so überschaubar. Und mit diesen wenigen Aussagen ist der Kern des circa 240 Seiten starken Buches bereits umrissen. Natürlich finden sich viele weitere Gedanken in den fünf Kapiteln (Offenheit und Geschlossenheit, Integration in Deutschland, Innere Offenheit, Äußere Offenheit, Grenzen der offenen Gesellschaft) – aber hauptsächlich werden dieselben Argumente in immer neuer Form verpackt präsentiert. Von seiner Argumentationsstruktur ähnelt das Buch damit einer Spirale, die dieselben Punkte immer wieder ansteuert.

Einige dieser Aussagen sind von einem starken Optimismus geprägt. So sei Rassismus weiterhin ein Thema, schreibt El-Mafaalani, er lasse aber nach. Es gebe objektiv betrachtet heute viel weniger Diskriminierung als vor vierzig Jahren. Gegenläufig suggeriere die aufgeheizte öffentliche Wahrnehmung des Themas etwas anderes. „Hinter diesem Diskriminierungsparadoxon steckt ein Grundprinzip menschlicher Gemeinschaften: Wenn man ein Problem schon erfolgreich bearbeitet hat und auf einem guten Weg ist, streitet man umso mehr über das kleiner gewordene, verbleibende Restproblem.“ (110)

Auch weltweit gesehen diagnostiziert der Autor eine Entwicklung zum Besseren: „Die Schere, die durch die Anfänge der Globalisierung und insbesondere durch die Kolonialisierung weiter Teile der Welt enorm auseinandergeht, schließt sich langsam, aber sicher. Und damit kommen wir zu einem weiteren paradoxen Effekt der Globalisierung: Während die Ungleichheit zwischen den Staaten sinkt, steigt sie innerhalb der Staaten.“ (197)

Überall im Buch blitzt Rousseaus Menschenbild und sein tendenziell naiver Glaube an die kindliche Güte von Menschen auf. So wird auf Seite 91 die These aufgestellt, dass Feindseligkeit gegenüber Fremden nicht die natürliche Intuition des Menschen sei. Dem dürften nicht eben wenige Psychologen widersprechen, bestätigen Versuche doch immer wieder die In-Group-Theorie sozialen Verhaltens. Hier und an weiteren Stellen vermissen wissenschaftsorientierte Leserinnen und Leser im Buch mehr Zahlen, Daten, Fakten als Belege, oder zumindest mehr Querverweise zu weiterführender Literatur.

Beiläufig werden auch Behauptungen aufgestellt, die für die Argumentation des Buches wichtig sind, die aber keineswegs als Selbstgewissheiten postuliert werden dürften. Dass nationale Grenzen praktisch kaum noch eine Rolle spielen (177) beißt sich beispielsweise mit der akribischen Untersuchung des südafrikanischen Geografen Harm de Blij („Power of place“, 2010), wonach auch heute die absolut überwältigende Mehrheit der Menschen in einem Umkreis von wenigen hundert Kilometern zu ihrem Geburtsort leben und sterben – sprich: im eigenen Kulturkreis und den Grenzen ihres Nationalstaates.

Manche Passagen hinterlassen den Eindruck, El-Mafaalani wolle gezielt und mitunter auch ein wenig bemüht an der üblichen Sichtweise der Welt rütteln. Ein Beispiel: Als einen Grund für die mangelnde Integration von Schülerinnen und Schülern nennt er ein zu starkes Klammern der Eltern (118). Überzeugender in der Argumentation wirkt da die eher dem Mainstream entsprechende Sozialstudie „Muslim Men“ von Sineb El Masrar (2018), die deutlich macht, dass es im Gegenteil eine tendenzielle Vernachlässigung und ein Nicht-Kümmern der Eltern ist, die Probleme schaffen (vor dem Hintergrund der eigenen Familiengeschichte polnischer Migranten teilt der Rezensent im Übrigen eher die Einschätzung von El Masrar). Im Übrigen ist für El-Mafaalani eine zu starke Assimilation verzichtbar, zumal, so meint er, Migranten sich im Allgemeinen mit ihrer Kultur sehr wohl fühlten. Auch hier darf man skeptisch sein. Um nur einen Beleg zu nennen: Der Afrika-Kenner Asfa-Wossen Asserate verdeutlicht in seinem Buch „Die neue Völkerwanderung“ (2016) wie stark gerade Afrikas patriarchalische Kultur die jungen Menschen zunehmend in Verzweiflung stürzt und ihnen ihre Zukunft raubt.

Das Buch liest sich tendenziell als eine Art der Selbstvergewisserung für ein linksliberales, urbanes Publikum, dass alles in die richtige Richtung läuft und im Augenblick lediglich „Wachstumsschmerzen“ zu verzeichnen sind. Dunklere und beunruhigender Befunde wie etwa von Arlie Russell Hochschild („Fremd in ihrem Land“, 2018), Michael Kimmel („Angry White Men“) oder Pankaj Mishra („Zeitalter des Zorns“, 2018) werden schlicht ausgeblendet.

Man kann dies alles als politischen Kommentar unserer gesellschaftlichen Gegenwart auffassen. Das ist legitim und man muss mitnichten die Auffassung vertreten, Politikwissenschaft habe politische Abstinenz zu verfolgen. Doch erheblich störend sind immer wieder auftretende Verbindungen von zwei Aspekten, die in der Argumentation zunächst schlüssig wirken, bei stärkerem Nachdenken aber auf eine falsche Spur führen. Um abschließend zwei Beispiele zu nennen: auf Seite 101 wird von einer fiktiven Person gesprochen, die gar keine Migration mehr möchte. Einen Absatz später geht es plötzlich um Rassismus. Der Text stellt so – gewollt oder ungewollt – eine Verbindung her zwischen jeglicher politischer Skepsis gegenüber Migration einerseits und Rassismus andererseits.

Würde man diesen Gedanken konsequent weiterdenken, wären etwa auch hoch renommierte Wissenschaftler wie der Oxforder Migrationsforscher Paul Collier tendenziöse Rassisten, wenn sie zum Beispiel vor einer naiven Politik der Herzensgüte warnen und die negativen Folgen von ungesteuerter Migration aufzeigen. Im zweiten Beispiel geht es um politische Korrektheit. Jemandem, der Beleidigungen wie „Krüppel“, „Neger“, „Schlitzauge“ benutze, mit dem wolle man nichts zu tun haben (229). Amtsträger sollten daher politisch korrekt sprechen. Auch hier werden zwei Dinge in einen Topf geworfen, die auseinandergehalten werden sollten. Selbstverständlich gehören beleidigende Formeln nicht in den Sprachgebrauch. Politische Korrektheit ist etwas anderes und in immer stärkerem Maße ist sie eine Waffe, die politisch Andersdenkende (meist Konservative) kaltstellen soll. Jonathan Haidt und Greg Lukianoff haben in „The Coddling of the American Mind: How Good Intentions and Bad Ideas Are Setting Up a Generation for Failure“ (2018) gerade eindrucksvoll dokumentiert, wie stark politische Korrektheit an amerikanischen Universitäten bereits die Diskussionsfreiheit einschränkt.

 

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Siegfried Karl / Hans-Georg Burger (Hrsg.)

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Literaturbericht

Migration und der „nationale Container“. Über einen konflikthaften Diskurs und symbolische Grenzziehungen

Vorgestellt werden Bücher, die eine gestiegene Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Kommunikationsformen belegen, in und mit denen die Themen Migration und Integration verhandelt werden. Deutlich wird dabei nicht nur der konflikthafte Charakter dieser Aushandlungen, in denen sich soziale Kräfteverhältnisse spiegeln. Die neueren Publikationen ermöglichen zum Teil auch erhellende Einsichten in Funktionsweise und Wirkungen symbolischer Grenzziehungen, die in öffentliche Debatten eingelassen sind. Integration wird so nicht länger nur als Anpassung in eine sozial und kulturell eindeutig definierte Mehrheitsgesellschaft gedacht.
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Analyse

Integration bleibt eine Herausforderung in Deutschland. Zuwanderungsgruppen und Integrationsmaßnahmen

Der Rückgang der Zuwanderung in die Bundesrepublik 2016 im Vergleich zu 2015 lasse sich, so Özlem Konar und Axel Kreienbrink, auf die gesunkene Fluchtmigration zurückführen. Während die Hauptherkunftsländer der Asylsuchenden zu diesem Zeitpunkt Syrien, Afghanistan und der Irak waren, bildeten Zuwanderer aus den EU-Mitgliedstaaten in der Folge, wie bereits vor 2015, die mit Abstand größte Gruppe der Migranten. Um die elementar wichtigen Schritte von Spracherwerb und Arbeitsmarktintegration zu bewältigen, biete das deutsche System der Integration eine Vielzahl an Möglichkeiten.
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Integrationspolitik in Deutschland

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