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Norbert Frei / Franka Maubach / Christina Morina / Maik Tändler: Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus

13.11.2019
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Autorenprofil
Dr. Clemens Heni
Berlin, Ullstein Buchverlage 2019

Dieser auf Initiative des Verlags entstandene Band von Norbert Frei und seinen Koautor*innen besteht aus acht Kapiteln, von denen jeder Autor und jede Autorin zwei verfasst hat, sowie den beiden gemeinsam geschriebenen einführenden und abschließenden Abschnitten.

Es geht in dem Buch um die Adenauerzeit, die DDR, die 1990er-Jahre und rassistische Morde. Die vier Autor*innen sehen die Gefahr, dass „Deutschland derzeit von rechts zusammenzuwachsen“ drohe und die liberale Demokratie durch eine „neue[.] nationalistische[.] Formation“ (17) bedroht sei. Aufgezeigt werden sollen die Kontinuitäten rechten Denkens seit 1945 und dann wieder seit 1989/90. Sehr richtig betonen die Autor*innen, dass viele Positionen von AfD, Pegida und der Neuen Rechten in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Allerdings werden jene Leser*innen enttäuscht, die erwarten, es würde in dem Buch primär um die heutige Neue Rechte gehen, die dann zeithistorisch kontextualisiert wird. Nein, es geht in wirklich kaum aufeinander abgestimmten Kapiteln um die Adenauerzeit, dann sofort um die DDR, in Kapitel drei um die Zeit um 1970 und die damaligen neonazistischen Umtriebe. Es ist dann auch arg verkürzt, wenn bereits in der Einleitung der 11. September 2001 nicht als islamistisch-antisemitischer Angriff auf die USA und die westliche Welt gesehen, sondern sofort auf die „Verbreitung einer islamfeindlichen Stimmung“ abgehoben wird. Gerade heutzutage von „unproduktiven Dramatisierungen“ (14) zu reden, wie es in der Einleitung heißt, zeigt doch eher, dass die Gefahr des Nationalismus, der Neuen Rechten und des neonazistischen Terrors, wie wir ihn erst vor wenigen Wochen an der Synagoge in Halle oder zuvor beim Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke erlebten, heruntergespielt wird.

In Kapitel zwei über Geschichte und politische Kultur in der DDR wird einfach in herkömmlicher totalitarismustheoretischer Diktion konstatiert, dass die DDR eine „zweite deutsche Diktatur“ gewesen sei, was jedwedes Differenzierungsvermögen vermissen lässt und die präzedenzlosen Verbrechen des SS-Staates auf die gleiche Stufe stellt wie den autoritären Alltag in der DDR.

Maik Tändler hat das größte Potenzial der vier Autor*innen bezüglich des Themas des Buches. Fundiert analysiert er die die neu-rechte Agitation vom „Links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“ (137). Er setzt in Kapitel sechs mit jungen Neonazis von 1979 ein, die mit PLO-Tüchern ihren antizionistischen Antisemitismus zum Ausdruck brachten (136 ff.) und auf den ersten Blick nicht von linken, noch langhaarigeren, Aktivist*innen unterschieden werden konnten, aber die Fahne der JN (Junge Nationaldemokraten), der Jugendorganisation der NPD, war dann eindeutig. Eine Analyse der Querfront wäre hier allerdings naheliegend gewesen.

Einen Kern der Neuen Rechten bis heute erkennt Tändler zu Recht in einem Zitat der Konrad-Adenauer-Stiftung und deren Hauspostille „Die Politische Meinung“ von 1983: „Die Rebellion von 1968 hat mehr Werte zerstört als das Dritte Reich. Sie zu bewältigen ist daher wichtiger als ein weiteres Mal Hitler zu überwinden.“ (138) Parallelen zu Götz Kubitschek, der Postille Sezession, Björn Höcke, Alexander Gauland, Alice Weidel und der gesamten AfD, aber auch zu erheblichen Teilen von CDU/CSU und der Mitte der Gesellschaft sind nicht zu verkennen, was jedoch in dem Band unterbelichtet bleibt.

Tändler führt aus, dass die Neuen Rechten „nationalrevolutionär“, „antiimperialistisch“ und „ethnopluralistisch“ sind und in Henning Eichberg ihren wichtigen theoretischen Kopf hatten. Diese Einordnung ist richtig, nur bezieht sich Tändler dabei gerade auf sehr problematische Sekundärliteratur wie Texte von Thomas Wagner, der mit vielen Protagonist*innen der neuen Nazis persönlich sprach und auch Eichberg vor dessen Tod (2017) traf und würdigte, ja sich nachdrücklich bei seinen rechtsextremen Gesprächspartner*innen bedankt. Die antifaschistische Grundposition, mit Nazis nicht zu reden, sondern deren Texte zu lesen und zu kritisieren sowie ihren Aktionsradius soweit es geht einzuschränken, unterläuft Wagner gezielt. Wagner behauptet in seinem zitierten Buch „Die Angstmacher“ gar, die bisherige Forschung habe sich mit den „Argumenten“ der Neuen Rechten nicht ausreichend befasst, was völlig grotesk ist und nur indiziert, dass er die Forschung zur Neuen Rechten nicht ansatzweise kennt. Warum Tändler gerade ihn zitiert, ist mehr als fragwürdig und wirft die Forschung zurück.

Norbert Frei schreibt in Kapitel fünf („Vergangenheit, die nicht vergehen will“): „Im Ganzen aber zeigte sich die deutsche Gesellschaft im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends gegenüber den jüdischen Überlebenden des Holocaust und ihrer Geschichte vielleicht aufgeschlossener als jemals zuvor.“ (134) Das ist eine mehr als fragwürdige These. So war etwa der Besuch des Starschriftstellers Martin Walser (der von Frei an anderer Stelle kritisiert wird) am 8. Mai 2002 im Bundeskanzleramt bei Gerhard Schröder ein Schock für Kritiker*innen – denn dessen Paulskirchenrede (1998) war noch nicht lange her und 2002 publizierte Walser einen als antisemitisch betrachteten Roman, der mit dem Tod des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki spielte („Tod eines Kritikers“). Die weit verbreitete antiisraelische Stimmung gerade im ersten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts (Möllemann-Affäre und viele weitere Beispiele) und der zunehmende Antisemitismus werden hierbei von Frei auch entwirklicht. Wer gerade von 2000 bis 2010 intensiv mit Israel und jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik sowie der politikwissenschaftlichen Analyse des Antisemitismus zu tun hatte (siehe die Doktorarbeit des Politologen Lars Rensmann), weiß, dass dort die Alarmglocken läuteten, was Frei offenbar verkennt.

Franka Maubach schreibt über rassistische Angriffe auf „Asylbewerberheime“ und „Ausländerwohnheime“ im zweiten Halbjahr 1992 und setzt mit Verve diese rassistischen Anschläge mit dem 9. November 1938 auf eine Stufe, beide Male sei es gerade nicht staatlich geplant gewesen. 1938 habe es (wie 1992 und bei Pogromen generell) eine „geschwächte politische Macht“ gegeben – eine Aussage, die an Absurdität nicht zu überbieten ist. Auch zivil gekleidete Nazis der SA oder SS waren an den Pogromen beteiligt, bereits am 7. November, was sie nicht erwähnt. Insgesamt wurden vom 7. bis 13. November 1938 ca. 800 Juden ermordet, ca. 26.000 wurden in KZs deportiert, was Maubach ebenso wenig schreibt. Dies mit den Ereignissen von 1992 in Verbindung zu bringen, ist eine sekundär antisemitische Erinnerungsabwehr, die nur so tut, als ob sie an 1938 erinnern möchte.

Christina Morina diskutiert in ihren beiden Kapiteln autoritäre wie auch antifranzösische und nationalistische Elemente der politischen Kultur der DDR (wie am Kyffhäuser); ihre Ausführungen kulminieren aber in diesem antikommunistischen Ausbruch an Holocausttrivialisierung: „Die Deutschen und die Europäer haben im 20. Jahrhundert bittere Erfahrungen mit zweierlei Mitwirkungsversprechen gemacht – mit dem der rassistischen ‚Volksgemeinschaft‘ und mit der der sozialistischen ‚Menschengemeinschaft‘.“ (206) Nicht sechs Millionen Juden wurden ermordet, sondern die Deutschen haben „bittere Erfahrungen“ gemacht. Der Holocaust sei das kategorial Gleiche gewesen („zweierlei Mitwirkungsversprechen“) wie die DDR, wo es weder KZs noch Massenmord, Deportation und Gaskammern gab. Derlei Aussagen überstehen seit vielen Jahren jedes Lektorat. Sie liegen im europäischen Trend der Gleichsetzung von Rot und Braun, wie dies die internationale Forschung kritisiert (so etwa Dovid Katz, Michael Shafir, Efraim Zuroff, Leonidas Donskis, Alvin Rosenfeld, der Rezensent selbst). Norbert Frei und seine Co-Autor*innen scheinen diesen kritischen Forschungsstand zur Holocaustverharmlosung via Rot gleich Braun auszublenden.

Zentrale Elemente des neuen Nationalismus wie das „Sommermärchen“ von 2006 oder die höchst problematische Rolle der Massenmedien im Umgang mit der AfD wie beispielsweise in Talkshows in ARD und ZDF werden in dem Band nicht touchiert.

Unter dem Strich merkt man dem Buch an, dass Frei, wie er im Nachwort erläutert, vom Ullstein Verlag zweimal gebeten wurde, es auf den Weg zu bringen. Einzig Tändler hat einige interessante Abschnitte, die auch für die politikwissenschaftliche Forschung zur Neuen Rechten und dem erstarkenden Nationalismus relevant sind. Entgegen den Autor*innen geht es meines Erachtens gerade nicht um die richtige „Dosis“ an „Patriotismus“ (216), sondern um eine klare begriffliche und ideologiekritische Analyse und Kritik gerade auch des Begriffs „Patriotismus“ in Deutschland, um dem Nationalismus in die Schranken zu weisen. Die vier Autor*innen wenden sich gegen die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ (207), wie sie von Björn Höcke und der AfD vertreten wird. Dabei unterstützen sie doch nicht weniger eine solche erinnerungspolitische Wende, wenn sie, wie gezeigt, Rot und Braun analogisieren.

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Was haben die Zeitgeschichtler bei der wissenschaftlichen Darstellung des Nationalsozialismus und damit zur Aufarbeitung der Vergangenheit geleistet? War ihr Blick vorurteilsfrei? Nein, meint Frei, Professor für Neuere und Neueste Geschichte in Jena, nicht immer. Zumindest sei die wissenschaftliche Beschäftigung in die öffentliche Meinung eingebettet gewesen und habe deshalb lange blinde Flecken aufgewiesen. Er beschreibt die Phasen und Kristallisationspunkte der NS-Forschung und des öffentliche...weiterlesen

 

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Rolf-Ulrich Kunze
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