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Carina Book / Nikolai Huke / Norma Tiedemann / Olaf Tietje (Hrsg.): Autoritärer Populismus. Diskursmuster und Handlungsweisen

28.09.2020
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Prof. Dr. Rainer Lisowski
Münster, Verlag Westfälisches Dampfboot 2020

Das Ende des Kapitalismus stehe bevor. Daraus resultiere ein rechter Autoritarismus „von oben“, der eine mühsam errungene Demokratisierung zunichtemache, fasst Rezensent Rainer Lisowski die Kernaussage des Sammelbandes zusammen. Die „kapitalistischen Zentren“ kämpften darum, eine benevolente Linke daran zu hindern, die Verhältnisse grundlegend zu verändern. Die „Rechtsstaatlichkeit“ werde angesichts der „konservativen Mobilmachung“ immer mehr beschädigt. Der Rezensent übt Kritik an den Beiträgen des Bandes, moniert etwa den Mangel an empirischen Beweisen und eine politische Diversität. (ste)

Eine Rezension von Rainer Lisowski

Von Karl Popper stammt der gegen Habermas und Marcuse gerichtete Spruch, sich zu intensiv mit ihrer kritischen Theorie auseinanderzusetzen, bedeute, ihnen mit gezücktem Schwert in einen Sumpf zu folgen, in dem sie ohnehin versinken würden. Man möge sich besser mit nützlichen Dingen befassen.

Ein wenig lässt sich dieser Spruch auf den von Carina Book und anderen edierten Band „Autoritärer Populismus“ anwenden, der eine Tagung der „Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung“ aus dem Jahr 2018 dokumentiert. Die Kernaussage lässt sich schnell zusammenfassen: Nachdem Marxisten seit gut 200 Jahren das Ende des weiterhin quicklebendigen Kapitalismus beschwören, sei es diesmal nun aber wirklich so weit. Die ratlose Bourgeoisie wüsste angesichts der ökonomischen und ökologischen Probleme selbst nicht mehr weiter und aus der Verwirrung entstünde irgendwie ein (natürlich rechter) Autoritarismus „von oben“ (30, 35), der eine mühsam errungene Demokratisierung zunichtemache. Die „kapitalistischen Zentren“ (ein neuer Modebegriff, der irgendwie alles sein kann) würden nur noch darum kämpfen, eine benevolente Linke daran zu hindern, die Verhältnisse grundlegend zu verändern. Das zwischen den Staat, als reines Ensemble bürokratischer Apparaturen, und die liberale Demokratie gesetzte, fragile Band „Rechtsstaatlichkeit“ würde angesichts der „konservativen Mobilmachung“ (10 f.) immer mehr beschädigt. Vor allem aus einer Migrationspolitik ohne vollkommen offene Grenzen ziehen die meisten Autor*innen diese Gewissheit.

So lautet die Grundthese des ansonsten eher heterogenen Sammelbandes. Dieser ist inhaltlich in drei Abschnitte gegliedert: Vier Aufsätze befassen sich mit der „Transformation des Staates und seiner demokratischen Form“. Neben „globalen Überlegungen“ werden in diesem Teil drei Länder betrachtet: Deutschland, die Türkei und Brasilien. Die drei Aufsätze des zweiten Abschnitts umreißen „Antifeminismus im autoritären Populismus“. Hier stehen erneut Brasilien und zudem Österreich und Polen im Zentrum der Analysen. Im umfangreichsten dritten Abschnitt geht es schließlich um eine Interpretation von Populismus als „Autoritärem Neoliberalismus [und] als Klassenkampf von ‚oben‘“.

Beim weiteren Lesen fällt auf, dass an kaum einer Stelle Zahlen und zudem nahezu kein Wort über Untersuchungsmethoden oder über die Ergebnisse eigener, quantitativer oder auch qualitativer Forschung der Autorinnen und Autoren zu finden sind – mit Ausnahme des Beitrags von Daniel Mullis und Paul Zschocke (132-149). Anstelle von mühsamer, empirischer Suche nach Beweisen werden lediglich Thesen formuliert. Der Mangel an Belegen wird hingenommen. Den Negativrekord stellt Carina Book in ihrem Aufsatz „‚Bis zur letzten Patrone‘: Deutschland zwischen Normal- und Ausnahmestaat“ (54-71). Sie vertritt selbstbewusst die Ansicht, Teile der deutschen Sicherheitsbehörden seien wie die AfD und Pegida eine „national-konservative“ Abspaltung des ansonsten neoliberalen Hegemonialprojektes bürgerlicher Prägung, dem alle anderen Parteien außer der Linken angehörten (54 f.). In einer Fußnote wird nonchalant mitgeteilt, die Datenlage zu dieser Annahme sei leider aufgrund von Geheimhaltung „prekär“, daher stütze man sich auf „nicht-dementierte Medienberichte“ (55). Einem Studierenden würde man dies als empirische Bankrotterklärung so sicher nicht durchgehen lassen.

Neben viel zitierten Säulenheiligen „kritischer“ Wissenschaftler*innen, wie etwa Antonio Gramsci, Ernesto Laclau, Nicos Poulantzas oder Hannah Arendt – der man mit einer Zurechnung zur kritischen Theorie allerdings Unrecht täte – kreisen zahlreiche Aufsätze um Ideen und Theorien von Alex Demirović, der in dem Band auch selbst zu Wort kommt (28-39). Demirović ist Vordenker der Partei „Die Linke“ und dieser als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates ihrer politischen Stiftung eng verbunden. Dagegen ist per se nichts einzuwenden – schade ist nur, dass der gesamte Sammelband eine eindeutige politische „Schlagseite“ aufweist. Mehr von der ansonsten stets eingeforderten „Diversität“ hätte dem Band gutgetan. Und dies hätte vermutlich auch zu einer im Band vollkommen ausgeblendeten Betrachtung von linkem Populismus (man denke an Hugo Chávez, Nicolás Maduro, Evo Morales) geführt.

Auch eine größere redaktionelle Strenge bei der inhaltlichen Linie und der Sprache wären wünschenswert gewesen. Die Analyse schwankt nicht selten, so als könnten sich die Autor*innen nicht einigen, ob nun Populismus, Kapitalismus oder Bourgeoisie (wahlweise gleichzusetzen) in der finalen Krise stecken, oder ob dieses Trio kurz davor steht, alles gesellschaftlich Gute zu zermalmen – wozu die Drei aber ja eine gewisse krisenhafte Robustheit benötigen würden. Besonders deutlich wird diese schwankende Haltung im dem Aufsatz von Carolina Alves Vestena über Brasilien (72-77).

Ebenso wäre die Bereinigung der Texte von verschwurbelten Wortungetümen und Formulierungen hilfreich gewesen. Nur ein Beispiel: „In Deutschland bringt die Diskussion eher einen vermeintlich neoliberalen Kosmopolitismus gegen soziale Verunsicherung und klassenspezifische Repräsentationskrisen in Stellung.“ (127)

Das Buch qualifiziert sich kaum als wissenschaftliches Werk, es handelt sich eher um eine politische Streitschrift, in der der politikwissenschaftliche Nachwuchs gegen den Neoliberalismus ‚Dampf ablässt‘. Wem das nicht gefällt, muss sich überlegen, ob es der Mühe wert ist, das Schwert zu zücken.

 

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