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David Runciman: So endet die Demokratie. Faktoren ihrer Bedrohung

08.07.2020
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Autorenprofil
Dr. phil. Tamara Ehs
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Frankfurt/M., Campus 2020

Der britische Politologe David Runciman attestiert der westlichen Demokratie eine Midlife Crisis und fragt sich daher, „ob es sinnvoll wäre, die Demokratie durch etwas Besseres zu ersetzen“ (13). Er gelangt zwar zu keiner abschließenden Antwort, erklärt in drei Kapiteln aber die Möglichkeiten, an denen die Demokratie zugrunde gehen wird – nämlich Putsch, Katastrophe oder technologische Übernahme. In Letzterer erkennt er die plausibelste Gefahr, die kurz gefasst lautet: Mark Zuckerberg sei für die Demokratie die größere Bedrohung als Donald Trump, weil Trump immerhin abgewählt werden kann: „Wahrscheinlich sieht das Schicksal der Demokratie so aus, dass die Trumps kommen und gehen und die Zuckerbergs weitermachen werden“ (207).

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten war der Auslöser für Runcimans Buch über das Ende der Demokratie. Nun, kurz vor den nächsten US-Präsidentschaftswahlen, liegt How Democracy Ends auf Deutsch vor und mutet nicht erst seit der globalen Jugendprotestbewegung Fridays for Future eigentümlich alt an. Seitenweise erinnert Runcimans Analyse und Klage an jene Michel Houellebecqs in Unterwerfung (2015); beide bejammern das Ende der alten Welt, die Visionslosigkeit der Politik und die Unfähigkeit der Demokratie zur Problemlösung, sodass bei der Leserin immer wieder der Verdacht aufkommt, ob der Autor das angebliche Schicksal der Demokratie nicht eher mit seinem eigenen verwechselt. Endet beim einen die französische Demokratie im politischen Islam, endet beim anderen die gesamte westliche Demokratie letztlich in den Fängen Facebooks. Alternativen werden zwar angedacht, aber gleich wieder verworfen, weil sie in ihrer Totalität gegenüber den auch von Runciman noch immer anerkannten Vorteilen der Demokratie unbefriedigend erscheinen müssen.

Er erwähnt als mögliche Alternativen zur Demokratie: Faschismus, Stalinismus, pragmatischen Autoritarismus, Epistokratie (Herrschaft der Wissenden) und libertäre Technologie. Gegenwärtig mühen wir uns laut Runciman vor allem mit dem pragmatischen Autoritarismus Donald Trumps ab. Doch dies ohnehin sei keine echte Alternative zur Demokratie, „sondern nur deren populistisch entstellte Variante“ (168), wie sie auch Viktor Orbán und Wladimir Putin verkörperten. Die Epistokratie hingegen, wie sie der Philosoph Jason Brennan in seinem Buch Gegen Demokratie (2016) imaginiert, sei auch nicht praktikabel. Denn in dieser Variante müsste man einen Bildungszensus einführen und dem so dummen Volk massenhaft das Wahlrecht entziehen. Bleibt nur die libertäre Technologie, also die technologische Übernahme – aber diesmal mit umgekehrten Vorzeichen, also nicht Übernahme der Demokratie, sondern durch die Demokratie. In nur wenigen Absätzen skizziert Runciman schließlich die Ideen von Philip Howards Pax technica. How the Internet of Things May Set Us Free or Lock Us Up (2015) und Paul Masons Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie (2015), bleibt aber bei dieser für ihn einzig gangbaren Alternative unerwartet wortkarg. Mitunter ist es ein Anzeichen einer Midlife Crisis, (zu glauben) keine neuen Anfänge mehr in die Welt werfen zu können. David Runciman macht zu Beginn seiner Suche nach „etwas Besserem“ die (persönliche) Krise deutlich: „Zwischen der Vorstellung, es gebe keine Alternative, und dem Glauben, die einzigen Alternativen seien abscheulich, besteht kaum ein Unterschied. Beide Einstellungen gehen Hand in Hand: Sie sind das, was die Midlife-Crisis hervorbringt. Allerdings sollte zwischen ihnen viel Raum für Überlegungen sein, ob es nicht doch realistische Alternativen gibt. Das Schwierige ist, sie zu finden“ (163).

Auf jener Suche erscheint der Autor allerdings müde. Zwar flackert kurz die Hoffnung auf, man könne „die Macht der Digitalisierung für die demokratische Politik zurückerobern“ (156), wenn Runciman über das Crowdsourcing für eine neue isländische Verfassung berichtet oder vom digital erstellten partizipativen Budget San Franciscos schwärmt oder die online organisierte italienische Fünf-Sterne-Bewegung referiert. Doch diese Überlegungen nehmen keine drei Seiten ein und lassen auch die soziale Schieflage jeder e-Demokratie außer Acht. All die Bemühungen der vergangenen Jahre um die Verbesserung der repräsentativen Demokratie, ihre Ergänzung durch direkte und partizipative Instrumente, ja die gesamte deliberative Wende, die vielerorts gerade vonstattengeht, all die Bürgerräte und Citizens‘ Assemblies, die mittels Losverfahren eine Alternative zur Wahldemokratie aufzeigen, scheinen Runciman nicht zu beeindrucken. So endet das Buch, wie sich sein Autor das Ende der Demokratie ausmalt: Man hat sich bis zur letzten Seite durchgerungen, weil man hoffte, dass da noch etwas kommt. Es gibt keinen zufriedenstellenden Abschluss, aber das mit „Schluss“ übertitelte Kapitel ist ohnehin nicht das letzte. Es folgt noch ein Epilog, quasi ein politologischer Houellebecq: Im Jahr 2053 hatte die US-Demokratie nicht nur die Präsidentschaft Donald Trumps überstanden, sondern auch jene Chan-Zuckerbergs. Mittlerweile tritt Präsident Li, der nur 28 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte, sein Amt als US-Präsident an und das Gerücht, er stehe unter dem Einfluss der chinesischen Regierung, schadet ihm kaum.

Zeitgleich mit How Democracy Ends war 2018 auch How Democracies Die von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt erschienen. Auch wenn Letzteres die lohnendere Lektüre zum Verständnis der Schwächen (und Stärken) der repräsentativen Demokratie ist, liegt die Leistung von Runcimans Buch vor allem im Aufzeigen der Gefahr, die von Konzernen wie Facebook, Google oder Amazon für die Demokratie ausgeht. Da Social Media auf unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und unvermittelter Willensäußerung beruhen, muss die auf Mäßigung und Entschleunigung bedachte Parteiendemokratie behäbig und unfähig aussehen: „Soziale Netzwerke haben die repräsentative Demokratie als Schwindel erscheinen lassen“ (145). So klar Runcimans Analyse ist, so unverständlich sind seine Schlussfolgerungen: Warum ist es die Demokratie an sich, die „einer besseren Politik im Wege steht“ (158)? Warum müsste man die Demokratie ersetzen statt sie zu verbessern und endlich überall zu verwirklichen? Erstaunlicherweise fällt Runciman auf das Narrativ von der Postdemokratie Colin Crouchs herein. Er kann die Demokratie nur in einer Midlife Crisis verorten, wenn er meint, sie habe den Höhepunkt schon hinter sich. Diese zunehmend verbreitete Demokratiemelancholie übersieht allerdings, dass in vielen Bereichen noch längst keine Demokratie erreicht ist, etwa in der Arbeitswelt, mit Blick auf ein Einwohnerwahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft oder in der Frage, ob tatsächlich jede Stimme gleich viel zählt. Zuletzt hatte Stephan Lessenich auf diese Grenzen der Demokratie (2019) aufmerksam gemacht.

Obwohl Runciman seinen Fokus auf die Gefahr der technologischen Übernahme legt und dort auch den wahrscheinlichsten Untergang der Demokratie verortet, scheint ein anderes Kapitel aktueller, weil fundamentaler: Kapitel 2 ist mit „Katastrophe!“ übertitelt und erörtert das Ende der Demokratie angesichts eines Atomkrieges, einer Umweltkatastrophe oder einer Pandemie. In diesem Szenario geht die Demokratie an der globalen Vernetzung zugrunde: „An uns nagt das Gefühl, unsere Welt sei anfällig für einen Zusammenbruch geworden, weil alles mit allem verknüpft ist. […] Durch massenhafte Flugreisen könnte sich eine Pandemie innerhalb weniger Stunden auf der Erde ausbreiten. Ein Crash in einer Nische des weltweiten Finanzsystems könnte überall Dominoeffekte auslösen“ (110). Die Coronakrise vergegenwärtige uns, wie rasch alles zusammenbrechen kann und welche Zumutungen sich daraus für die Demokratie ergeben. Allerdings verdeutlichte diese Krise auch, dass Demokratien eher ein Teil der Lösung als des Problems sind.

 

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Rezensionen

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Auf nur wenigen Seiten räumt Stephan Lessenich mit der Klage über die Krise der Demokratie gründlich auf und bietet eine Gegenerzählung zu der verbreiteten Mystifizierung der „guten alten Zeit“. Richteten wir den Blick nämlich auf jene, die in den fetten Jahren eine demokratische Schattenexistenz führten – Frauen, Migranten, Nichterwerbstätige – müssten wir uns eingestehen: Wir sind nie so demokratisch gewesen. Lessenich ordnet den Kampf um die Demokratie in vier Arenen: Klassen, gesellschaftlicher Status (nach Geschlecht, Bildung, Alter), Staatsbürgerschaft sowie Natur/Umwelt.
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William A. Galston

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Aus der Annotierten Bibliografie

Colin Crouch

Postdemokratie. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008 (edition suhrkamp 2540); 160 S.; 10,- €; ISBN 978-3-518-12540-3
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