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Roger de Weck: Die Kraft der Demokratie – Eine Antwort auf die autoritären Reaktionäre

15.06.2021
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Autorenprofil
Frauke Schröder, B.A.
Berlin, Suhrkamp 2020

Mit seinem Buch „Kraft der Demokratie“ ist Roger De Weck ein gut lesbarer Beitrag zur gegenwärtigen Debatte über den Zustand der liberalen Demokratie gelungen, findet unsere Rezensentin Frauke Schröder. Das Buch des ehemaligen Chefredakteurs der Zeit zeigt in Schröders Augen überzeugend die Widersprüche in der Argumentation der Neuen Rechten auf, arbeitet schlüssig die aktuellen Schwächen, aber auch die Stärken der Demokratie heraus und weist eine Richtung für ihre Weiterentwicklung. An manchen Stellen allerdings wünscht sich die Rezensentin mehr Tiefgang. (lz)

Eine Rezension von Frauke Schröder

Wie steht es derzeit um die Demokratie? Welche Kräfte gefährden sie und in welchem Maße? Wichtiger noch, welche Kraft kann sie entfalten, um einer möglichen Zersetzung entgegenzuwirken? Diesen Fragen widmet sich der Schweizer Publizist, Ökonom und ehemalige Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit Roger de Weck in seinem Buch Die Kraft der Demokratie. Eine Antwort auf die autoritären Reaktionäre. Auf rund 300 Seiten entfaltet er zunächst, wie das Autoritäre und Reaktionäre ineinandergreifen und auf Wirtschaft und Demokratie einwirken. Im Anschluss daran stellt er die Stärken der liberalen Demokratie heraus und setzt sie in einen Katalog von zwölf Reformvorschlägen um.

De Wecks einleitender Diagnose zufolge gewinnen Neurechte, das sind für ihn illiberale, nationalistische und populistische Kräfte, zunehmend an Einfluss. Unter dem Deckmantel der Demokratie strebten sie eine autoritäre Staatsform an und fielen damit hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück – sie seien reaktionär. Den Grund für ihren Aufstieg in weiten Teilen Europas und den USA sieht de Weck in der derzeitigen Schwäche der liberalen Demokratie. Denn so liberal, wie sie sich bezeichnet, sei diese schon lange nicht mehr: Die zunehmend neoliberale Demokratie habe dem Kapitalismus freie Hand gelassen und somit dem heutigen „Ultrakapitalismus“ (18) zur Entstehung verholfen, der nun an den Fundamenten der Demokratie rüttele. Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008 zeige deutlich, dass sich das Primat der Ökonomie über die Demokratie durchgesetzt habe – mit schwerwiegenden Folgen. 

In seiner Systemkritik zeigt de Weck nachvollziehbar auf, wieso Kapitalismus und die Neue Rechte zur selben Zeit florieren können und wie aus der Marktwirtschaft eine „Machtwirtschaft“ (35) werden konnte. Denn die unbedingte Vormachtstellung des Kapitals sowie die Konsequenz zunehmender gesellschaftlicher Spaltung spiele reaktionären Kräften in die Hände, die sich das Fehlen einer Alternative zunutze machten. Dass sie diese Folgen ihrer eigenen Politik nicht zu regeln vermag, sei die große Schwachstelle der Demokratie. Doch auch neurechte Parteien hätten nur „Pseudoalternativen“ (55) zu bieten. Ihre paradoxe Botschaft, das Volk solle sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, indem es sich der Nation inklusive einer autoritären Führung unterwirft, ließe sich nur durch ständige Agitation verbreiten.

Um die Verhaltensmuster reaktionärer Kräfte zu analysieren, nimmt de Weck insbesondere die Debatte um politische Korrektheit und Meinungsfreiheit in den Blick. So sei es entgegen neurechter Argumentation nicht die politische Korrektheit, welche der Meinungsfreiheit schade, sondern vielmehr die überwiegend digitale, reaktionäre Hassrede. Diesem relevanten Punkt räumt de Weck verhältnismäßig wenig Raum ein, obwohl er sich als elementar in den Praktiken der Neurechten erweist. 

Neben dem Phänomen der Entmoralisierung und gleichzeitigen Moralkritik in Bezug auf politische Korrektheit geht de Weck auch auf Narrative der Schuldzuweisung ein – gegenüber allen und allem, was nicht in das autoritär-reaktionäre Weltbild passt, seien es Migrantinnen und Migranten, die sogenannte Elite oder die EU, hielten die Neuen Rechten eine entsprechende Erzählung bereit. De Wecks schlüssige Argumentation bleibt hier jedoch teilweise zu sehr an der Oberfläche. Ein tiefergehender Blick darauf, wie die Narrative in breiten Teilen der Gesellschaft verfangen können und reproduziert werden, wäre interessant gewesen. 

Im nächsten Schritt legt de Weck seinen Fokus auf die Potenziale der liberalen Demokratie. Sie wisse drei humane Grundbedürfnisse besser zu befriedigen als andere politische Systeme: die Bedürfnisse geachtet zu werden, in Frieden zu leben sowie frei reden zu können. Er beschreibt, wie in West-, Mittel- und Osteuropa die Demokratie und ihre jeweiligen Bürgerinnen und Bürger aufeinander einwirken und wie insbesondere die nationale Geschichte der einzelnen Staaten zu unterschiedlichen Ausprägungen der Demokratie geführt hat. So variiert, folgt man de Weck, beispielsweise das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat und zur Justiz oder die Kompromissbereitschaft von Parteien und Regierungen. Daraus schließt er, dass die Modernisierung der Demokratie unterschiedliche Formen und Ausmaße annehmen kann.  

Dabei gelingt de Weck eine klare Formulierung der Stoßrichtung von Ausbau und Reformen, komprimiert beschrieben in der Idee der „hybride[n] Aufklärung“ (221), in welcher die Ambivalenzen der Gesellschaft nicht als zu überwindendes Hindernis betrachtet werden, sondern als produktivitäts- wie sinnstiftender Ausgangspunkt des Denkens. Die konsequente Einbeziehung der Ökologie hält er dabei für unabdingbar. Sein bemerkenswerter Vorschlag etabliert sie als Weiterentwicklung der dritten Säule der Französischen Revolution: von der auf den Menschen begrenzten Brüderlichkeit zu einer zeitgemäßen Verantwortung für sich und die Umwelt. 

Wie genau das geschehen kann, legt de Weck anhand von zwölf teils mehr, teils weniger konkreten Vorschlägen dar. Das übergeordnete Ziel bestehe darin, nicht länger passiv die Veränderungen der Demokratie zu beobachten, sondern die demokratischen Institutionen aktiv zu reformieren. Seine Vorschläge reichen dabei von verstärkter politischer Bildung und Beteiligung der jüngeren Generationen über Sicherung und Ausbau von Qualitätsjournalismus bis zu Strategien, der Ökologie ein deutlich stärkeres Gewicht im politischen System einzuräumen. Dabei stets im Vordergrund: die Europäische Union als Grundlage und Rahmen für die bestmögliche Entfaltung der Demokratie. 

De Wecks Reformvorschläge können dabei allenfalls als erste Ansätze betrachtet werden, wie er selbst zu bedenken gibt. Dies sei nicht zuletzt dem erwähnten Umstand geschuldet, dass die einzelnen Vorschläge je nach Demokratie, Staat und Kultur variieren können und müssen, um letztlich effektiv zu sein. Zwangsläufig stellt sich die nicht weiter erörterte Frage der Finanzierung dieser Maßnahmen. Deren Beantwortung überlässt de Weck Politikerinnen und Politikern, die er als Schlüsselakteure in der Umsetzung identifiziert. Allerdings bleibt trotz impliziter Hinweise insgesamt unklar, wen er anspricht, um eine Modernisierung der Demokratie voranzubringen. 

Als Impulsgeber eröffnet de Weck somit zumeist theoretische Perspektiven darauf, welche Ansatzpunkte sich bieten. Er zeigt überzeugend auf, dass es sich bei den autoritär-reaktionären Kräften noch immer um eine Minderheit handelt und welche inhärenten Widersprüchlichkeiten sie selbst so laut zu vertuschen suchen. Das macht nicht nur Hoffnung, sondern entspricht auch einem pragmatischen Ansatz. Einem passiven Pessimismus stellt er einen teils satirisch, teils überzogen formulierten Appell entgegen, der die oft als leere Worthülse getadelte Demokratie wiederbelebt. Sein informatives wie unterhaltsames Werk reiht sich ein in die gegenwärtigen Bestandsaufnahmen der liberalen Demokratie und bestätigt zugleich deren Relevanz, ohne signifikant neue Erkenntnisse hervorzubringen. Inwiefern seine Vorschläge tatsächlich einen gesellschaftlichen und politischen Einfluss haben mögen, bleibt ungewiss.

 

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Externe Veröffentlichungen

Roger de Weck, Ellen Ueberschär / 30.04.2020

Heinrich-Böll-Stiftung

 

Daniel Ziblat / 26.05.2021 

Bundeszentrale für politische Bildung

 

Pia Bungarten, Reinhard Krumm / 03.06.2021

IPG Journal

 

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