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Ulf Brunnbauer

"Die sozialistische Lebensweise" Ideologie, Gesellschaft, Familie und Politik in Bulgarien (1944-1989)

Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2007 (Zur Kunde Südosteuropas II/35); 768 S.; brosch., 69,- €; ISBN 978-3-205-77577-5
Geschichts- u. kulturwiss. Habilitationsschrift FU Berlin. – „Was hat die kommunistische Herrschaft für die Gesellschaft dieses Landes bedeutet und inwieweit hat sie ihre gegenwärtigen soziokulturellen Praktiken geprägt?“ (9), fragt Brunnbauer. Ausgehend von dieser Frage erzählt er eine Geschichte des Scheiterns: Trotz seiner Repressivität habe der Realsozialismus an seiner selbstgestellten Aufgabe versagt, seine politische Herrschaft in einer Gesellschaft festzumachen, die aus den „Neuen Menschen“ bestehen sollte. Diese sollten sich durch eine sozialistische Denkweise und ebensolche Umgangsformen auszeichnen, geprägt durch eine kommunistische Moral und eine am Kollektivismus orientierte Lebensweise. Die Kommunisten seien dabei mit dem Problem konfrontiert gewesen, ihr System „in einer weitgehend agrarisch geprägten, als rückständig und unkultiviert wahrgenommenen Gesellschaft“ (17) aufbauen zu wollen. Brunnbauer beschreibt anschaulich, wie oft den Bulgarinnen und Bulgaren angesichts ihrer Traditionen oder auch nur des allgemeinen Mangels nichts anderes übrig blieb, als durch ihr eigenes Handeln die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit zu überbrücken – und sei es, dass sie in einer neu gebauten Stadt Kühe auf den öffentlichen Grünanlagen weiden ließen, um wenigstens auf diese Weise Milch zu erhalten. Die Versuche, die Gesellschaft umzuformen, erläutert Brunnbauer an drei Fallbeispielen: der Jugendbrigadenbewegung von 1946 bis 1950, der Errichtung der „sozialistischen“ Stadt Dimitrovgrad und der Erbauung des Stahlwerks Kremikovci. Damit eröffnet sich ein breites Panorama der Schwierigkeiten, angefangen bei der Alltagskultur bis hin zur Industrialisierung. Es zeigt sich, dass „die Realitäten des Lebens den ideologischen Zielvorstellungen nicht entsprachen“ (693). Die Kommunisten modifizierten deshalb ihre Vorgaben immer wieder und hofften auf einen Zirkelschluss: „Das Leben wird durch die Ideologie bestimmt und gleichzeitig wird das echte Leben die Ideologie symbolisieren“ (53). Die Partei aber scheiterte damit und stürzte sich nach dieser Einsicht 1989 selbst.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.22 | 2.23 | 2.25 | 2.262 | 2.263 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ulf Brunnbauer: "Die sozialistische Lebensweise" Wien/Köln/Weimar: 2007, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/27357-die-sozialistische-lebensweise_32032, veröffentlicht am 27.03.2008. Buch-Nr.: 32032 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken