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Sebastian Heer

Institutionenwandel durch evolutorisches Lernen. Ursachen- und Prozessanalyse der Wahlsystemreform in Neuseeland von 1993

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Studien zum Parlamentarismus 22); 277 S.; 49,- €; ISBN 978-3-8487-1190-1
Mit der Reform des Wahlrechts in Neuseeland im Jahr 1993 wurde ein seltener Wechsel von einem Mehrparteiensystem auf eine personalisierte Verhältniswahl nach deutschem Vorbild vollzogen. Der Autor fragt nach den Gründen für diese „durchaus als Überraschung zu verstehende Reform“ (7). Der Untersuchung liegen verschiedene theoretische Annahmen zugrunde. So versteht Heer Wahlsysteme – entgegen häufiger stillschweigend angenommener Interpretationen – nicht als Institutionen, sondern als „institutionelle Mechanismen“ (42), die als solche in die Funktionsbezüge des Parlaments eingebettet sind und als „Bindeglied zwischen Parlament und demokratischen Ordnungsvorstellungen“ (52) fungieren. Bei der Interaktion von Institutionen und ihrer Umwelt können sie „in Phasen des gesellschaftlichen Wandels einer Institution einerseits Stabilität verleihen; andererseits können sie mit kalkulierbarem Risiko verändert werden und tragen so zu tiefgreifendem Wandel bei“ (63). Die Veränderung des Wahlrechts ist danach eine parlamentarische Reform. Diese wiederum betrachtet Sebastian Heer als institutionellen Lernprozess, den er evolutionstheoretisch aufschlüsseln möchte. Aus dieser Perspektive untersucht er den gesamten Verlauf des neuseeländischen Reformprozesses und dessen Einflussfaktoren. Hierfür erfolgt im ersten Schritt eine Analyse des „Bauplans des neuseeländischen Parlaments“ (115), bestehend aus Leitideen, Rechtsbestimmungen, Geschäftsordnungen, informellen Routinen, gewohnheitsrechtlichen Praxen usw. Anschließend werden wichtige Umwelt‑ bzw. „Nischenbedingungen“ (139) der vergangenen Jahrzehnte herausgearbeitet. Dazu zählen beispielsweise die kulturelle Emanzipation Neuseelands von Großbritannien seit Mitte der 1960er‑Jahre, die zunehmende ethnische und politische Heterogenität der Gesellschaft und damit einhergehend die Auflösung ehemals stabiler sozialer Milieus sowie die Ende der 1970er‑Jahre einsetzende lang anhaltende Phase wirtschaftlicher Stagnation. Diese Entwicklungen führten zu Funktions‑ und Legitimationsdefiziten des Repräsentantenhauses – für Heer eine „bedenkliche Passungslücke“ (192) und „Auslöser institutionellen Lernens“ (192). Damit kann er am Ende schlüssig darlegen, dass die per Referendum erzielte Wahlrechtsreform weniger den Erklärungsmustern „Unfall“ oder „geplante Aktion“ zuzuschreiben ist, sondern als langfristiger Entwicklungsprozess im Sinne einer „lernend‑anpassende[n] Reform“ (244) gesehen werden muss.
Anke Rösener (AR)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.662.22 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Sebastian Heer: Institutionenwandel durch evolutorisches Lernen. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37469-institutionenwandel-durch-evolutorisches-lernen_45818, veröffentlicht am 28.08.2014. Buch-Nr.: 45818 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken