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Julien Winandy

Normativität im Konflikt. Zum Verhältnis von religiösen Überzeugungen und politischen Entscheidungen

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Studien zu Religion, Philosophie und Recht 1); 361 S.; brosch., 69,- €; ISBN 978-3-8487-1527-5
Diss. Erfurt; Begutachtung: T. M. Schmidt, H. Joas. – Dürfen religiöse Überzeugungen in politischen Entscheidungsprozessen vorbehaltlos geäußert werden? Über diese Frage hat sich eine Debatte entfacht, wobei eine Reihe von Ansätzen – etwa von Jürgen Habermas – voraussetzt, zwischen säkularen und religiösen Ansichten eindeutig unterscheiden zu können. Dagegen stellt Julien Winandy die These auf, dass die Dichotomie zwischen religiösen und säkularen Argumenten als Grundlage normativer Theorien nicht hilfreich ist. Hervorzuheben ist, dass Winandy nicht ein weiteres Mal versucht, auf theoretischer Ebene die Dichotomie zu bezweifeln, sondern diese durch ein empirisches Fallbeispiel infrage stellt. Im Zusammenhang mit der Wahlinitiative „Proposition 8“ in Kalifornien, die 2008 zur Abstimmung der Bevölkerung über die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe führte, interviewte der Autor 21 Personen aus dem christlich‑religiösen Milieu, die sich aktiv an der öffentlichen Diskussion beteiligten. Seine erste Erkenntnis aus diesen Interviews besteht darin, dass die bisherigen Ansätze in der Debatte um den Status religiöser Argumente in der Politik ein sehr vereinfachtes Bild des religiösen Bürgers gezeichnet haben. Auf der Basis des empirischen Materials kann Winandy hingegen die Komplexität unterschiedlicher Verständnisse beschreiben. Zur Veranschaulichung entwickelt er verschiedene Typen des religiösen Bürgers, wobei sie gemeinsam haben, dass immer religiöse und säkulare Begründungen und Deutungsmuster ineinandergreifen und daher nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Insofern lasse sich eine Dichotomie zwischen religiösen und säkularen Gründen zwar analytisch aufrechterhalten, für eine normative Theorie sei damit jedoch wegen der unrealistischen Annahmen nichts gewonnen. Eine normative Theorie muss laut Winandy dagegen berücksichtigen, dass sich die Angemessenheit in Form der Zugänglichkeit oder Verallgemeinerbarkeit einer Überzeugung erst im politischen Diskurs selbst zeige, etwa durch den Grad der Reflexivität der Überzeugung. Da dies auch für religiöse Gründe gelte, kann die oben aufgeworfene Frage nach der Legitimität von religiösen Überzeugungen im politischen Prozess positiv beantwortet werden. Winandys Argumentation lässt sich weitgehend gut nachvollzogen. Leider führt er jedoch nicht weiter aus, was die Inklusion religiöser Argumente im Hinblick auf die konkrete institutionelle Umsetzung bedeutet.
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Rubrizierung: 5.425.412.232.64 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Julien Winandy: Normativität im Konflikt. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38145-normativitaet-im-konflikt_46543, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 46543 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken