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Miriam A. Bader-Gassner

Pipelineboom. Internationale Ölkonzerne im westdeutschen Wirtschaftswunder

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa 3); 342 S.; 69,- €; ISBN 978-3-8487-1498-8
Diss. Göttingen; Begutachtung: J. O. Hesse. – Der mit dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit einhergehende Wandel des Konsumverhaltens und die Abkehr von der Steinkohleenergie hatten weitreichende Veränderungen des Ölmarktes zur Folge. Um bei steigendem Ölbedarf die hohen Transportkosten zu senken, brach gegen Ende der 1950er‑Jahre in Westeuropa ein „‚Pipelineboom’“ aus, schreibt die Autorin, der „Unternehmen, Politik und Bevölkerung vor neue Herausforderungen stellte“ (33). So entstand in Deutschland eine gänzliche neue Infrastruktur für die Verarbeitung und Distribution von Mineralöl, die – anders als andere Infrastruktureinrichtungen – nicht vom Staat, sondern überwiegend von den multinationalen Mineralölkonzernen aufgebaut wurde. Wegen möglicher Auswirkungen auf den Gütertransport der Bahn sowie von betroffenen Anwohner_innen befürchteter Umweltschädigungen war der Pipelinebau durchaus umstritten. Mit dieser wirtschaftshistorischen Studie untersucht Miriam A. Bader‑Gassner die Interessenkonflikte und Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Akteuren ebenso wie deren Kooperation und das Zustandekommen der Pipelineprojekte. Den Kern der Arbeit bilden zwei Fallstudien: erstens die 1966 fertiggestellte Central European Line (CEL) von Genua nach Ingolstadt, die von der italienischen Staatsholding ENI gebaut wurde, sowie zweitens die Transalpine Pipeline (TAL) von Triest nach Ingolstadt, die 1967 als Gemeinschaftsprojekt der ENI und mehreren Mineralölkonzernen realisiert wurde. Die Autorin zeichnet für die Akteursmatrix Konzern – Politik – Gesellschaft jeweils ausführlich sowohl die Interessenlagen innerhalb der einzelnen Akteursgruppen als auch die Konfliktlinien zwischen ihnen nach. So standen die Interessen Öl gegen Tourismus im Mittelpunkt von Verhandlungen über Sicherheits‑ und Haftungsfragen. Auch wehrten sich die Konzerne gegen Forderungen nach Konzessionen und gegen – erst nach und nach geschaffene – behördliche Auflagen. Den Bau der CEL begleitete ein langwieriger, auf der lokalen Ebene entstandener Konflikt um Ängste vor einer Verschmutzung des Bodensees. Die Befürchtungen bewahrheiteten sich, die CEL wurde 1997 stillgelegt. Insgesamt gibt die Studie nicht nur Aufschluss über machtpolitische Strategien multinationaler Konzerne, sondern auch über zeitgenössische Auffassungen von staatlicher Regulierung im föderalen System der Bundesrepublik. Zudem belegt die Autorin, dass eine Sensibilität für Umweltfragen nicht erst mit dem Waldsterben in den 1980er‑Jahren, sondern bereits zwanzig Jahre zuvor einsetzte.
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Rubrizierung: 2.3134.432.3222.343 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Miriam A. Bader-Gassner: Pipelineboom. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38326-pipelineboom_46382, veröffentlicht am 23.04.2015. Buch-Nr.: 46382 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken