Von Hegel zu Hitler. Die politische Verwirklichung einer totalitären Machtstaatstheorie in Deutschland (1815-1945)
Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der mittel- und osteuropäischen Herrschaftssysteme hat Kiesewetter seine 1974 erschienene Dissertation überarbeitet. Im Mittelpunkt stehen die geistigen Grundlagen totalitärer Herrschaft sowie insbesondere die Verstrickungen der Wissenschaft.
Der Aufbau ist im wesentlichen gleich geblieben. Der Darstellung der Hegelschen Machtstaatstheorie aufgrund seiner Rechtsphilosophie von 1821 folgt die Analyse ihres Einflusses auf eine Reihe deutscher Wissenschaftler sowie schließlich die Ausarbeitung wesentlicher geistiger Verbindungen zwischen Nationalsozialismus und Hegelianismus. Die Neuausgabe vollzieht diesen analytischen Dreischritt unter Einbeziehung der zwischenzeitlich erschienenen Literatur.
Kiesewetter zeichnet eine Linie geistiger Kontinuität von Hegels Machtstaatstheorie über den Kampf einer Reihe einflußreicher deutscher Wissenschaftler gegen Individualismus, Liberalismus und Parlamentarismus bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. Diese sieht er als "Endstufe geistiger und politischer Traditionen und Sehnsüchte, die im vulkanhaften Ausbruch des Nationalsozialismus ihre gemäße Form fanden" (2).
Die Analyse neigt gerade aufgrund der so stringent herausgearbeiteten Parallelen zwischen Hegelianismus und Nationalsozialismus (den man nach Meinung des Autors "als einen Neo-Hegelianismus bezeichnen könnte" [238]) zur Monokausalität, wenngleich Kiesewetter an mehreren Stellen die Vielschichtigkeit des Nationalsozialismus unterstreicht. Das Buch bietet ein Musterbeispiel für die Fruchtbarkeit der Beschäftigung mit der Wirkungsgeschichte philosophischer Werke, die über deren bloße Analyse hinausgeht.