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Hendrik Cremer: Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist.

07.02.2024
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Autorenprofil
Ansgar Drücker
Berlin, Berlin Verlag 2024

Die AfD sei eine rechtsextreme Partei, die sich durch offenen Rassismus, Gewaltbereitschaft und Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus auszeichnet: Zu dieser Bewertung kommt der Jurist Hendrik Cremer in seinem Buch, das in Stil und Beweisführung beinahe einem Gerichtsurteil ähnele, so Rezensent Ansgar Drücker. Cremer arbeite auf Basis ihres Programms und öffentlicher Äußerungen ihrer führenden Politiker*innen akribisch und analytisch sauber heraus, dass die AfD nicht mehr auf dem Boden der Verfassung stehe. (dk)


Eine Rezension von Ansgar Drücker


Zu Beginn des Superwahljahrs 2024 vor allem in Ostdeutschland bringt Hendrik Cremer eine Bestandsaufnahme der Alternative für Deutschland (AfD) heraus, die sie in großer Klarheit und Eindeutigkeit als rechtsextreme Partei charakterisiert. Der am Deutschen Institut für Menschenrechte tätige Jurist geht sprachlich und politisch sehr analytisch vor, um dann – fast im Stil eines Gerichtsurteils – immer wieder zu der klaren Bewertung zu kommen, dass die AfD eine Partei ist, die die Menschenwürde vieler in Deutschland lebender Menschen nicht achtet, Gewalt befürwortet und die Grund- und Menschenrechte systematisch in Frage stellt.

Cremer beklagt, dass der fortgeschrittene Prozess der Radikalisierung der AfD im öffentlichen Diskurs nicht abgebildet werde. Der Autor selbst hat in einer Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Menschenrechte reichlich Argumente für ein Verbot der AfD geliefert und wiederholt dies mit einer anderen Herangehensweise auch im Buch. Er spricht sich in der aktuellen Situation jedoch nicht ausdrücklich für ein Verbotsverfahren aus, sondern weist darauf hin, dass bis zu einem möglichen Verbot „noch eine erhebliche Zeit vergehen“ (13) würde, dies also für das anstehende Superwahljahr keine sinnvolle Option mehr darstelle.

Gleich zu Beginn nimmt Cremer – wie auch im weiteren Verlauf immer wieder – Bezug auf den Nationalsozialismus. Solche wiederholten Referenzen – manchmal ist sogar das Wort NS-Vergleich angemessen – wollen gut begründet sein. Dies gelingt Cremer unter anderem, indem er insbesondere bei Björn Höcke sprachanalytische Bezugnahmen auf den NS-Sprachjargon aufzeigt. Höcke widmet Cremer dann auch ein eigenes Kapitel, das passenderweise auf Seite 88 beginnt. Er stellt ihn als die eigentlich prägende Figur der Partei in Bezug auf Ideologie, rechtsextreme Ausrichtung und Gewaltbereitschaft dar. Cremer beschreibt auch seinen sehr deutlichen Einfluss auf den Verlauf von Parteitagen und Listenaufstellungen, den er trotz seiner formalen Position als Thüringer Landespolitiker aus dem Hintergrund bundesweit ausübt.

Cremer fordert die „längst überfällige Einstufung der AfD als ‚erwiesen rechtsextremistische Bestrebung‘“ (14) ein, denn die „AfD erhebt den totalitären Anspruch, Menschen zu Objekten zu degradieren, nach Gutdünken über sie zu entscheiden und zu verfügen“, „was Deportationen deutscher Staatsangehöriger einschließt“ (13). Die Verwendung des vorbelasteten Terminus „Deportation“ mag wie die bewusste Verwendung eines Kampfbegriffs wirken, um Abscheu zu erzeugen. Dem Autor gelingt aber die Gratwanderung zwischen einer Augenöffnung durch klare Einordnung der AfD-Positionen und ihrer übermäßigen Skandalisierung, indem er seine Urteile sprachanalytisch und politisch-inhaltlich herleitet und begründet, auch mit einem Verweis auf offene Bekenntnisse zu nationalsozialistischer Ideologie und Begriffswelt sowie die wiederholte Bagatellisierung nationalsozialistischer Verbrechen und einer Ablehnung von Erinnerungsarbeit durch die AfD. Die in der öffentlichen Diskussion nicht immer offenkundige Gewaltbereitschaft der AfD leitet er aus verschiedenen Redebeiträgen führender AfD-Ideologen ab – auch hier wird Björn Höcke ausführlich zitiert – sowie aus Äußerungen zum Topos „Bürgerkrieg“ (nicht nur) in internen Chatgruppen der AfD.

Cremer stützt diese eindeutigen Urteile im Folgenden auf seine Einordnung der AfD als rechtsextreme Partei, die das Grundgesetz als Kern der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie entgegen anderslautender Selbstaussagen nicht akzeptiere und stattdessen – mit Gewaltbereitschaft – eine national-völkische Ideologie verfolge. Er verweist darauf, dass das Diskriminierungsverbot Ausfluss der Menschenwürde und der Menschenrechte sei – und somit eine offen rassistische und antisemitische Partei, die regelmäßig mit dem Konzept der „Volksgemeinschaft“ und des „Bevölkerungsaustausches“ operiere, nicht auf dem Boden der Verfassung stehen könne.

Er beschreibt Thilo Sarrazin als gedanklichen Wegbereiter der rassistischen und antisemitischen AfD-Ideologie und blickt auch auf die politische Situation nach der deutschen Vereinigung und die Anschlagserie von Halle, Hanau und Kassel zurück. Der Nachweis des Antisemitismus der AfD zeigt die Fallstricke der AfD-Analyse auf: Cremer umgeht (nicht nur hier) bewusst entlastende Momente, da sie nicht seinem Ziel dienen würden, die AfD als antisemitische Partei zu entlarven. Dennoch gelingt die akribische Beweisführung über zahlreiche Indizien, wie etwa die Wahl des bewusst mit zahlreichen antisemitischen Aussagen operierenden Bundestagsabgeordneten Petr Bystron auf Platz 2 der Liste für die anstehende Europawahl. „Damit hat die AfD unmissverständlich klargestellt: Wir sind antisemitisch“ (83), so Cremers Urteil.

Die oft analytisch pointierte Beweisführung zum rechtsextremen Charakter der AfD verläuft nicht entlang von Äußerungen nachrangiger AfD-Politiker*innen, sondern konzentriert sich auf Aussagen der Führungsfiguren Björn Höcke, Alice Weidel, Alexander Gauland und Tino Chrupalla. Sie umfasst auch die präzise Darstellung der Verbindungen der AfD zu ihrem rechtsextremen Vor- und Umfeld von der Desiderius-Erasmus-Stiftung mit ihrer Vorsitzenden Erika Steinbach (AfD-Mitglied) über die Identitäre Bewegung bis zum Institut für Staatspolitik mit Götz Kubitschek.

Cremer arbeitet präzise heraus, wie ausgerechnet die AfD ein vermeintliches Neutralitätsgebot in der Schule durchsetzen will und setzt dem entgegen, dass Lehrkräfte sehr wohl eine Position einnehmen sollten und müssten, nämlich die des Grundgesetzes und der Menschenrechte. Genau aus dieser Perspektive ergäben sich klare Urteile über die AfD und nicht eine neutrale Gleichgültigkeit gegenüber ihren Positionen. Er kritisiert die Verharmlosung der AfD im öffentlichen Diskurs und ihre dauernde Einladung in Talkshows oder zu harmlos aufgemachten Sommerinterviews, in denen dann die krassesten menschenfeindlichen Äußerungen häufig unwidersprochen stehenblieben. Im Kapitel 6 gibt Cremer „Empfehlungen für die Thematisierung und den Umgang mit der AfD“ (155 ff.), dazu gehört auch die Nichteinladung der AfD in Talkshows. Er argumentiert die AfD habe „kein Recht auf Talkshowzeit“, denn „Talkshows sind keine Ersatzparlamente“ (158); stattdessen sei insbesondere „der öffentlich-rechtliche Rundfunk grundsätzlich zum Erhalt und der Förderung der Demokratie verpflichtet“ (162). Er betont zudem die Bedeutung lokaler zivilgesellschaftlicher Bündnisse in der Auseinandersetzung mit der AfD vor Ort und fordert Widerspruch und Auseinandersetzung im Alltag ein.

Im Fazit warnt der Autor vor der Wahl der AfD und gibt auch denjenigen, die überlegen, diese Partei zu wählen, zu bedenken, für welche undemokratischen Inhalte sie dann einstehen würden. Seine Conclusio lautet: „Käme die AfD an die Macht, wäre niemand mehr in diesem Land sicher“ (177). Setzt man die klare Haltung Cremers und die Eindeutigkeit seines Urteils voraus, handelt es sich um eine scharfe Analyse mit gelungenen sprachlichen und ideologischen Analysen der Partei- und Wahlprogramme der AfD sowie von Äußerungen führender Politiker*innen, die in der Partei Geltung haben. Angesichts der besonderen Bedeutung Thüringens in diesem Superwahljahr mit dem in Jahrzehnten einmaligen Zusammenfallen der Wahlen der Gemeinde- und Kreisräte, der Bürgermeister*innen und Landrät*innen, des Thüringer Landtags und des Europaparlaments erscheint die Schwerpunktsetzung auf Björn Höcke angemessen, zumal seine bundespolitische Wirksamkeit gut herausgearbeitet wird. Dass Weidel und Höcke im April 2023 in Erfurt erstmals „zusammen ohne andere Redner auf der Bühne standen“ (99) mag als Symbolbild für die faktische Aufnahme Björn Höckes in die Parteispitze, wenn auch ohne Amt und Mandat auf Bundesebene stehen.

Die äußere Gestaltung des Buches lässt auf den ersten Blick vermuten, dass es eher in eine Bahnhofsbuchhandlung als in einen Fachbuchversand gehört, und es ist in der Tat zu hoffen, dass das Buch ein breites Publikum findet. Tatsächlich ist der Inhalt aber so detailliert recherchiert und analytisch hergeleitet, dass es auch im Bereich der Fachliteratur seinen Platz finden kann. Die teilweise ausgesprochen interessant zu lesenden Endnoten nehmen fast ein Viertel des Buches ein und verdeutlichen die Akribie der Untersuchung, stören aber im Hauptteil nicht den Lesefluss. Hervorzuheben ist die Aktualität des Bandes: Sogar die für die AfD erfolgreiche Oberbürgermeisterwahl in Pirna im Dezember 2023 hat es noch in den Band geschafft.

CC-BY-NC-SA
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