Diss. Tübingen; Gutachter: W. Jens. - Welche politische Wirkung konnten die Parlamentsreden im kaiserlichen Deutschland entwickeln? Wie waren die Rahmenbedingungen gestaltet in einer Zeit, in der sich Redner ohne Mikrophon im Plenarsaal gegen Zwischenrufe, Kommentare und die manchmal parteiisch ausgelegte Geschäftsordnung behaupten mussten? Neben Bismarck stehen August Bebel, Eugen Richter und Ludwig Windhorst im Mittelpunkt der Analyse, die weniger die politische Zielrichtung zum Thema hat als vielmehr die Frage: Welche rhetorischen Mittel standen den Kontrahenten zur Verfügung, um gegenüber dem politischen Gegner Punkte zu sammeln? Bismarck verfügt als Reichskanzler über einen ungemeinen Vorteil, der auch seine Reden wesentlich anders strukturieren lässt als die der Oppositionsredner: Er darf nicht durch den Reichstagspräsidenten zur Geschäftsordnung ermahnt werden. Abgesehen von diesem formalen Vorteil beherrschte Bismarck trotz seiner unkonventionellen Redeweise, die die meisten Stenographen vor große Herausforderungen stellte — er sprach häufig leise und keineswegs flüssig — seine parlamentarischen Widersacher beinahe nach Belieben. Goldbergs vornehmlich rhetorische Analyse, mitunter sehr detailverliebt vorgetragen, bietet einerseits tiefe Einblicke in die Konflikte der Bismarck-Zeit und ist andererseits auch eine Art Parteiengeschichte, denn die Redner präsentieren in ihren rhetorischen Duellen mit Bismarck die Argumente ihrer Parteien. Besonders deutlich wird dies bei Bebel, dem Goldberg eine vorrangig ideologische Denkweise attestiert.