Die Krisen- und Konfliktprävention ist seit mindestens 30 Jahren von einer Forderung der Friedens- und Konfliktforschung zu einem fest etablierten Ansatz in der internationalen Politik geworden. So verabschiedeten der UN-Sicherheitsrat und die Generalversammlung 2016 in seltener Eintracht eine Resolution, die die „Aufrechterhaltung des Friedens“ als zentrales Ziel untermauert und ein ganzheitliches Vorgehen im Bereich der Prävention fordert. Zwei Jahre später veröffentlichte die UNO die Studie „Pathways for Peace“, die das bis dahin aktuelle Wissen der Krisen- und Konfliktprävention zusammenfasst und einen praxisnahen Empfehlungskatalog formuliert. Doch die Diskrepanz zwischen Rhetorik und Realität ist groß. So erreichten etwa die bewaffneten Konflikte mit staatlicher Beteiligung laut dem Uppsala Conflict Data Program (UCDP) im Jahr 2020 mit einer Zahl von 56 einen neuen Höchststand seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dies resultiert aus dem kontinuierlichen Anstieg von Gewaltkonflikten seit 2010 und stellt eine Umkehr der Entwicklungen dar.
Grundsätzlich lässt sich grob zwischen inner- und zwischenstaatlichen Konflikten unterscheiden. Dabei überschreiten bewaffnete Konflikte nach dem UCDP definitorisch die Grenze zum Krieg, wenn mindestens 1.000 Menschen innerhalb eines Jahres durch Kampfhandlungen ihr Leben verlieren. Blickt man auf Basis dieser Klassifikation auf die historische Entwicklung von Kriegen, lässt sich laut dem Politikwissenschaftler Frank Schimmelfennig das „nahezu vollständige Verschwinden des Typs ‚zwischenstaatlicher Konflikt‘ aus dem Kriegsgeschehen der Gegenwart“ feststellen. Stattdessen spielen sich bewaffnete Konflikte heute zumeist innerhalb eines Staates ab und sind von Kämpfen nichtstaatlicher Gruppierungen gegeneinander (beispielsweise zwischen verschiedenen religiösen oder ethnischen Gruppierungen in Syrien und im Irak) oder gegen die Regierung (Bürgerkriege in Syrien, Libyen und im Sudan) geprägt. Gleichzeitig zeigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, dass zwischenstaatliche Kriege – trotz ihres zahlenmäßigen Rückgangs – auch in Europa keineswegs der Vergangenheit angehören. Aufgrund der staatlichen Machtfülle haben Kriege zwischen Staaten weiterhin enorme militärische, ökonomische und geopolitische Implikationen und fordern hohe Opferzahlen. Daher bleibt ihre Verhinderung ein zentrales Ziel der Krisen- und Konfliktprävention.
Zugleich argumentieren die Friedens- und Konfliktforschung wie auch weite Teile der internationalen Staatengemeinschaft, dass ein traditionelles Verständnis von Sicherheit, das auf dem Schutz des staatlichen Territoriums und seiner Bevölkerung vor militärischen Angriffen beruhe, zwar essenziell sei, aber nicht ausreiche. So konzipierte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen 1994 erstmals den Leitbegriff der „Menschlichen Sicherheit“. Demnach beinhalte Sicherheit mehr als nur die Abwesenheit gewaltsamer Konflikte, sondern umfasse auch Themen wie Ernährungs-, Gesundheits-, Sozial- und Umweltsicherheit sowie einen effektiven Schutz vor Menschenrechtsverletzung.
Die schweren Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des Klimawandels haben die Verwundbarkeit der Menschheit durch „nicht-traditionelle Sicherheitsrisiken“ und die Wichtigkeit eines ganzheitlichen Sicherheitsverständnisses mehr als deutlich ins Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit gerückt. Dabei weisen Wissenschaftler*innen schon länger daraufhin, dass Epidemien und Pandemien nicht nur schweres menschliches Leid und eine Überlastung der Gesundheitssysteme bringen, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die innerstaatliche und globale Stabilität haben können. Noch zahlreicher ist die Literatur zu den sicherheitspolitischen Implikationen des Klimawandels. Sie zeigt, dass der Klimawandel bestehende Herausforderungen wie die Fragilität von Staaten, sozioökonomische Ungleichheiten und Migrationsdynamiken verschärft. Diese Faktoren können wiederum das Risiko von Ausbrüchen gewaltsamer Konflikte und von Bürgerkriegen erhöhen. Die Globalisierung sorgt insgesamt dafür, dass Konflikte heute komplexer und multidimensionaler sind. Dies zeigt sich etwa in der Internationalisierung von Bürgerkriegen (sichtbar im Engagement verschiedener Großmächte auf unterschiedlichen Seiten im syrischen Bürgerkrieg) oder in den Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf andere Weltregionen (beispielsweise durch explodierende Nahrungsmittelpreise in Afrika aufgrund der russischen Aggression gegen die Ukraine).
Studie / Alexandre Marc et al. / März 2018
Eine Studie der UN und der Weltbank zur Konfliktprävention und ihrem potenziellen Outcome für andere Entwicklungsfelder.
Sammelband / Robin Schröder, Stefan Hansen (Hrsg.) / 2015
Erstmals eine Gesamtschau der in Afghanistan gemachten Erfahrungen aus der Perspektive des deutschen Bundeswehrengagements.
Gutachten / Deutsche Friedensforschungsinstitute / seit 1987
Das Gutachten analysiert die Neuausrichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa nach dem 24. Februar 2022.
Analysen und Handlungsempfehlungen zu Konfliktprävention, -lösung und -management.
Wie durch Policymaking organisierte Gewalt verhindert und der Friedensaufbau gestützt werden kann.
Friedensforschung zu den Ursachen gewaltsamer Konflikte sowie zu den Bedingungen von innergesellschaftlichem und internationalem Frieden.
Wie wurden bislang stabile Friedensschlüsse erreicht und warum bleiben häufig Konfliktursachen bestehen.
Pointierte Debatten und Vorschläge zu Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung.
Texte des Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) zu aktuellen Fragen und Debatten rund um Friedens- und Konfliktforschung.
In zwölf Themenfeldern rund um „Demokratie und Frieden“ bieten wir Rezensionen, Analysen, Essays, Kommentare/Standpunkte sowie Interviews. Wir zeigen auf, welche Erklärungen die Politikwissenschaft für das aktuelle politische Geschehen bereithält.
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