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Paul Nolte

Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert

München: C. H. Beck 2000; 520 S.; Ln., 45,- €; ISBN 3-406-46191-3
Habilitationsschrift Bielefeld Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie; Gutachter: G. Werle, F. Herzog. - Die jeweilige zeitgenössische Deutung von sozialen Phänomenen ist nicht nur für weit zurückliegende Epochen von Interesse. Auch und gerade bei der Betrachtung des 20. Jahrhunderts, einem Zeitraum, der uns in vielerlei Hinsicht so nah erscheint, kann nicht umstandslos von einem identischen Begriffsverständnis heutiger Forscher und dem der Zeitgenossen ausgegangen werden. Höchst folgenreich, auch in politischer Hinsicht, ist das Verständnis, das eine Gesellschaft selbst von ihrer je eigenen sozialen Ordnung hat. Die Bedeutungen, Ordnungs- und Verwendungszusammenhänge, die mitgedachten Selbstverständlichkeiten und Erfahrungen, die die Deutschen mit Gesellschaft verbanden, sind das Thema dieser fundierten, kenntnisreichen Arbeit, die sich schwerpunktmäßig auf die ersten beiden Drittel des vergangenen Jahrhunderts konzentriert, aber auch spätere Entwicklungen mit einbezieht. Zugleich sollen Kontinuitäten und Brüche zum vorhergehenden 19. Jahrhundert herausgearbeitet und die Angemessenheit seiner Begriffe wie etwa "Stand" oder "Klasse" für die Analyse des 20. Jahrhunderts untersucht werden. Ein wesentlicher Aspekt der gesellschaftlichen Selbstreflexion war über lange Zeit eine Sehnsucht nach gesellschaftlicher Homogenität und Einheitlichkeit, die es schwierig machte, eine pluralistische und zugleich integrierte Gesellschaft zu denken. Kennzeichnend waren stattdessen Auffassungen, die beispielsweise einen Zerfall oder eine Auflösung der Gesellschaft diagnostizierten. Zudem wurden Staat und Gesellschaft zumeist als antagonistisch begriffen; vielleicht auch als Reflex darauf dominierten bei der Analyse von Gesellschaft vornehmlich sozialökonomische Kategorien, andere Deutungsschemata traten demgegenüber zurück. Wesentlich war außerdem eine starke, oft ins Utopische reichende Zukunftsorientierung gesellschaftlicher Entwürfe, die in der NS-Zeit ihre radikalste und folgenreichste Ausformung erlebte, und die in der Bundesrepublik erst in den 50er- und 60er- Jahren aufgegeben wurde, in der DDR dagegen noch lange nachwirkte, wobei sich die Darstellung für den Zeitraum ab 1945 auf die Verhältnisse in der alten Bundesrepublik konzentriert. Die bei hohem wissenschaftlichem Niveau sehr gut verständliche sowie hervorragend geschriebene Arbeit beruht auf der Auswertung unterschiedlichster Quellen, neben wissenschaftlicher Literatur wurden vor allem Aufsätze und Artikel in kultur- und gesellschaftspolitischen Zeitschriften berücksichtigt. Inhaltsübersicht: II. Einheit und Zerrissenheit; III. Gegenwartsdiagnose und Zukunftsentwurf. Modernität und Radikalisierung 1914-1945; IV. Der Abschied von der Utopie und die wiedergefundene Mitte. Westdeutschland 1945-1965; V. Bilanz und Ausblick: Jenseits der Gesellschaft?
Silke Becker (BE)
Dipl.-Soziologin; freie Journalistin.
Rubrizierung: 2.3 Empfohlene Zitierweise: Silke Becker, Rezension zu: Paul Nolte: Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. München: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11840-die-ordnung-der-deutschen-gesellschaft_14125, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14125 Rezension drucken