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Boris Groys

Das kommunistische Postskriptum

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006 (edition suhrkamp 2403); 96 S.; 8,50 €; ISBN 978-3-518-12403-1
Der Kommunismus sei keine Utopie mehr, sondern abgeschlossen – und somit zur Wiederholung freigestellt. Weitere Versuche seien eigentlich unvermeidlich. Groys, Professor für Kunstwissenschaft, Philosophie und Medientheorie in Karlsruhe, will mit diesem Postulat allerdings nicht den Kommunismus sowjetischer Provenienz wieder herbeischreiben, auch wenn diesem sein Hauptaugenmerk gilt. Er definiert den Kommunismus als eine Herrschaft durch Sprache, als eine Philosophenherrschaft im Sinne Platons. Unter den Bedingungen der kapitalistischen Ökonomie bleibe der Mensch stumm, da das ökonomische Geschehen anonym sei und sich nicht in Worte fassen lasse, argumentiert Groys. Die Kapitalismuskritik operiere nicht im gleichen Medium wie der Kapitalismus. „Damit die Gesellschaft kritisierbar wird, muß sie zunächst kommunistisch werden.“ (8 f.) Eine kommunistische Gesellschaft sei als eine Gesellschaft zu definieren, in der die Macht und ihre Kritik im gleichen Medium operierten. Mit der bolschewistischen Revolution sei die Gesellschaft tatsächlich vom Medium Geld auf das Medium Sprache überschrieben worden. Und nur der Dialektische Materialismus konstituiere sich als Lehre über die innere Widersprüchlichkeit aller Dinge und Diskurse. In der Praxis allerdings sei der sowjetische Kommunismus „als fortgesetztes Spuken des kommunistischen Gespenstes“ (67) erschienen. Die Widersprüchlichkeit zwischen Theorie und oftmals brutaler Praxis lässt Groys aber ebenso wenig als grundsätzliche Kritik gegen eine Herrschaft durch Sprache gelten wie die freiwillige Selbstabschaffung des Kommunismus. Dieser sei damit vielmehr zu einer historischen, in Raum und Zeit verankerten Formation geworden. Außerdem fehlten eindeutige „Kriterien dafür, zu behaupten, dass sich ein Projekt oder eine Ideologie oder eine Religion ‚sich selbst überlebt hat’ oder ‚geschichtlich überholt ist’“ (87). Unter Verweis auf das aktuelle Geschehen in China erinnert Groys daran, dass der Vorschlag, den Kapitalismus für den Sieg des Kommunismus zu zähmen, bereits seit der Oktoberrevolution existiert.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 5.42 | 5.43 | 2.62 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Boris Groys: Das kommunistische Postskriptum Frankfurt a. M.: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/24035-das-kommunistische-postskriptum_27662, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 27662 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken