Serbien nach den Kriegen
Es ist ein gleich doppelt überraschender Sammelband, den Becker und Engelberg vorlegen: Erwartet man angesichts des Titels vielleicht eine kategoriale Darstellung der gesellschaftlich-politischen Verhältnisse Serbiens nach 1999, so wird man zunächst durch den essayistischen Stil überrascht. Der zweite Blick zeigt aber, dass dem Leser auch in dieser ungewöhnlichen Form durchaus der erwartete Überblick geboten wird. So beschreibt etwa Ivanji das Parteiensystem des Landes, Knieper und Meyer stellen den Stand des Rechtssystems dar, und Sundhausen erläutert in knapper Form die historische Entwicklung Serbiens. All dies geschieht eben nicht in trockener Sprache, sondern lebendig, fast – im besten Sinne des Wortes – journalistisch geschrieben, ohne etwa völlig auf wissenschaftliche Quellenbelege der Aussagen zu verzichten. Darüber hinaus werden gesellschaftliche Prozesse in den Blick genommen, zum Beispiel der intellektuelle Diskurs des Landes und die Frage nach den Hemmnissen einer im europäischen Sinne verstandenen Modernisierung Serbiens. Die wechselseitigen Beziehungen Serbiens und (West-)Europas sind es denn auch, die den roten Faden des Bandes bilden. Darin, dass es sowohl serbische als auch deutsche Autoren sind, die ihre jeweils eigene Sicht der Dinge darstellen, besteht der besondere Reiz des Sammelbandes. Dies gewährleistet, dass das Buch nicht nur die externe, sondern auch die interne Perspektive wiedergibt, was einem möglicherweise etwas überheblichen Blick auf ein vermeintlich rückständiges Land vorbeugt. Antworten auf die Frage aber, wie europäisches, zivilgesellschaftliches Denken in einem immer noch von einem starken Nationalgefühl geprägten Volk verankert werden kann, können auch die Autoren nicht verbindlich geben. Aber sie regen in ihren Beiträgen zum Nachdenken und zu einem weiten, genaueren Blick auf das Land an.