Demokratie in der Krise: Europa in der Zwischenkriegszeit
In den hier versammelten Referaten der im Februar 2007 an der Universität Bielefeld veranstalteten Tagung „Europäische Verfassungsentwicklungen in der Zwischenkriegszeit“ wird die Frage diskutiert, weshalb in der Zwischenkriegszeit so viele demokratische Verfassungen scheiterten. Dieses Projekt richtet sich explizit gegen die deutschlandzentrierte Perspektive, die Geschichte nur aus der Retrospektive, d. h. aus den verheerenden Folgen der Machtübernahme des Nationalsozialismus, rekonstruiert. Zunächst werden die verfassungsrechtlichen und ideengeschichtlichen Vorbedingungen der Nachkriegsdemokratie skizziert. Dann werden die erfolgreichen Demokratien (Großbritannien, Skandinavien, Tschechoslowakei und Frankreich) analysiert, bevor diese mit den instabilen oder antidemokratischen Regimen (Italien, Ungarn, Österreich, Spanien und Deutschland) verglichen werden, um schließlich eine Synthese zu geben. Abgesehen von dem Beitrag Schönbergers sind die Länderstudien leider nicht unmittelbar komparatistisch angelegt. Der systematische Teil kompensiert dies jedoch: So hebt Wirsching hervor, dass die Stabilität Frankreichs und Großbritanniens gegenüber der Instabilität Deutschlands, Österreichs und Osteuropas unmittelbar mit der Orientierungslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg und der fehlenden parlamentarischen bzw. republikanischen Verfassungstradition in Zusammenhang steht. Morlock sieht den entscheidenden Punkt in der Frage, ob gesellschaftspolitische Konflikte konstitutionalisiert werden können, weshalb eine funktionierende Demokratie einer lebendigen und offenen Verfassungskultur bedürfe, die sich nicht allein im Formaljuristischen erschöpfe, sondern eine normative Integrationskraft entwickele. Gusy resümiert in der abschließenden komparatistischen Perspektive wesentliche verfassungsexogene und -endogene Faktoren für die Stabilität demokratischer Systeme, hebt jedoch auch hervor, dass die vergleichende Verfassungsgeschichte weiterhin ein Desiderat bleibt.