Geteilte Erinnerung. Die deutsch-tschechischen Beziehungen und die sudetendeutsche Vergangenheit
Salzborn stellt in dieser Aufsatzsammlung die Geschichte der Sudetendeutschen Landsmannschaft und ihre Vorgeschichte in den NS-Organisationen dar und erläutert „anhand ausgewählter Fallstudien die völkische und antiaufklärerische Grundintention“ ihrer Politik. Dabei zeigt sich deutlich, dass diese Landmannschaft als „geschichtspolitischer Störfaktor“ (8) agiert und eine deutsch-tschechische Aussöhnung nach Kräften behindert. Die Bezeichnung „sudetendeutsch“ sei erst am Anfang des 20. Jahrhunderts als eine sich selbst abgrenzende Bezeichnung populär geworden, schreibt Salzborn, nach Gründung der Republik 1918 seien die Deutschen vonseiten des Staates dagegen als deutschsprachige Bürger definiert worden – ohne Minderheitenrechte, aber auch ohne Einschränkungen für das kulturelle Leben. Diese größte Minderheit im Land habe sich aber um den gesellschaftlich bevorzugten Status gebracht gesehen, den sie im österreichisch-ungarischen Kaiserreich innegehabt hatte. Nach Ansicht des Autors besteht in der deutschen wie tschechischen Forschung kein Zweifel darüber, dass viele Sudetendeutsche lange vor dem Einmarsch der deutschen Truppen 1938 „eine massive völkische Destabilisierungs- und Unterminierungspolitik der tschechoslowakischen Souveränität“ (116) betrieben hätten. Diese politische Haltung habe sich bis in die Gegenwart fortgesetzt, als Beleg dafür führt Salzborn die Forderung der Landsmannschaft im Vorfeld des EU-Beitritts Tschechiens an, das Land solle die Beneš-Dekrete annullieren – die sich aber nur zu einem kleinen Anteil auf die deutsche Minderheit bezogen, sondern in erster Linie der Sicherung der Souveränität des Landes galten. Diese Forderung sei ein abermaliger Versuch gewesen, die Vertreibung der Sudentendeutschen aus dem historischen Kontext zu lösen – mit dem fortgesetzten Ziel, die Frage der Täterschaft im Nationalsozialismus überhaupt nicht zu thematisieren. Für Salzborn ist es völlig unverständlich, dass bisher keine Bundesregierung die Landsmannschaft (geschichts-)politisch in die Schranken gewiesen hat.