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Bernd Wagner (Hrsg.)

Jahrbuch für Kulturpolitik 2010. Band 10: Kulturelle Infrastruktur. Hrsg. für das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V.

Essen: Klartext 2010; 414 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-8375-0471-2
„Kultur ist Wandel“, schreibt Pius Knüsel. „Das ist bestimmt der banalste Satz in diesem Jahrbuch.“ (266) – Das mag so sein, zugleich dürfte es aber auch der wichtigste sein. Die Autoren bieten deshalb nicht nur eine aufschlussreiche Bestandsaufnahme des durch den Föderalismus fein verästelten Kulturbetriebs in Deutschland. Sie schreiben vor allem auch für eine Kultur, die sich frei entwickeln sollte und nicht aus Sorge um den Bestandsschutz von der Bürokratie erdrückt wird. Knüsel sieht allerdings gerade diesen Zustand schon als eingetreten an: „Die Demokratie mutet dem Bürger Mündigkeit zu, welche ihm der Kulturbetrieb verweigert“ (266). Nicht nur vor dem Hintergrund einer demografischen Entwicklung, die die Frage aufwirft, wer in Zukunft überhaupt noch das Publikum in den Opernhäusern stellen wird, fordert er provokativ die „Halbierung der kulturellen Infrastruktur“ (269). Mit den frei werdenden Mitteln sollten neue individuelle Kräfte gefördert werden, die in der Lage sind, die europäische Kultur weiterzuentwickeln. Nicht alle Beiträge fallen im Tenor so radikal aus, aber die Frage, wie viel Infrastruktur Kultur braucht und wer überhaupt die Nutzer kultureller Angebote sind, zieht sich durch den gesamten Band. Dieser stellt so etwas wie eine Fortsetzung der Arbeit der Enquete-Kommission des Bundestages „Kultur in Deutschland“ dar, die 2007 ihren Abschlussbericht vorlegte und zu deren Mitglieder auch zwei Autoren des Bandes, die Professoren Oliver Scheytt (Hamburg) und Wolfgang Schneider (Hildesheim), zählten. Aufgeworfen werden die – selbstverständlich keineswegs neuen – Debatten über Pflichtigkeit oder Freiwilligkeit öffentlicher Kulturaufwendungen, außerdem wird an konkreten Beispielen erläutert, wie sich die kulturelle Infrastruktur und ihre Nutzung in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hat. Mit Blick auf die öffentlichen Bibliotheken lässt sich am deutlichsten die Tendenz herauslesen, dass die Zahl der Nutzer der Angebote zwar sinkt, diese zugleich aber intensiver genutzt werden. Ausdrücklich ausgespart aus den Analysen wurden allerdings privatwirtschaftliche Angebote. In mehreren Beiträgen wird schließlich nach den Entwicklungsperspektiven gefragt, aus den Analysen lassen sich wegweisende Ideen – siehe oben – herauslesen. Ähnlich wie Knüsel beschäftigt zum Beispiel auch Schneider sich damit, woher die Künste überhaupt ihre schöpferische Energie nehmen. Und auch er erkennt ihre Räume vor allem außerhalb des etablierten Kulturbetriebs.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.343 | 2.325 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Bernd Wagner (Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2010. Essen: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33591-jahrbuch-fuer-kulturpolitik-2010_40210, veröffentlicht am 30.06.2011. Buch-Nr.: 40210 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken