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Wolfgang Bialas

Politischer Humanismus und "verspätete Nation" Helmuth Plessners Auseinandersetzung mit Deutschland und dem Nationalsozialismus

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 42); 295 S.; 44,95 €; ISBN 978-3-525-36918-0
Wer eine fundierte ideengeschichtliche Studie zu Plessners politischem Denken erwartet, wird enttäuscht. Die Stärke des Buches liegt eindeutig in der kulturphilosophischen Auslegung der Schriften des Philosophen, nicht in ihrer Kontextualisierung, der Untersuchung ihrer Rezeption oder gar deren politiktheoretischer Weiterentwicklung. Bialas vermag dabei die enge Verknüpfung der post-essentialistischen politischen Anthropologie Plessners mit den Ideen des politischen Humanismus und der mit dem Diktum der verspäteten Nation verbundenen Kritik am Nationalsozialismus zu verknüpfen und kulturphilosophisch fruchtbar zu machen. Hier kommt Bialas zu einer Reihe sehr beachtenswerter Einsichten, wie etwa der in der Auseinandersetzung mit der Ideologiekritik gewonnenen Erkenntnis, dass nicht nur Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung konstitutiv für das Subjekt der Moderne sind, sondern auch „die Fähigkeit zu konstitutiver Selbsttäuschung“ (174). Der am Ende der Arbeit vorgebrachte Vorschlag, im Anschluss an Plessner „universelle Prinzipien des Humanismus durch ihre kulturelle Kontextualisierung zugleich“ zu relativieren „und in ihrem universellen Geltungsanspruch“ (270) zu erneuern, wirkt nur auf den ersten Blick paradox. Denn möglicherweise bietet er in der Tat eine Alternative zwischen Kulturrelativismus einerseits und westlich dominierten Universalismus andererseits. Zahlreiche solcher interessanten Überlegungen verbergen sich jedoch leider hinter einem Sprachstil, dem man diese Einsichten förmlich abringen muss. Die Verschränkung geschichtsphilosophischer, anthropologischer, ideologiekritischer und kulturphilosophischer Überlegungen erscheint durch diese Darstellung in ihrer Sperrigkeit eher verstärkt als aufgelöst. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Bialas nicht klar zwischen der Wiedergabe der Positionen Plessners, der Schilderung von Kontextwissen und seinen eigenen Interpretationen unterscheidet. Als Einführung in das Denken Plessners erweist sich das Buch daher als ungeeignet, für den Kenner ist es jedoch eine Fundgrube spannender werkimmanenter Interpretationen.
Andreas Braune (BR)
M. A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Projekt "Bildung zur Freiheit", Institut für Politikwissenschaf, Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Rubrizierung: 5.46 | 5.42 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Andreas Braune, Rezension zu: Wolfgang Bialas: Politischer Humanismus und "verspätete Nation" Göttingen: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33604-politischer-humanismus-und-verspaetete-nation_40233, veröffentlicht am 20.04.2011. Buch-Nr.: 40233 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken