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Tilman P. Fichter / Siegward Lönnendonker

Dutschkes Deutschland. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, die nationale Frage und die DDR-Kritik von links. Eine deutschlandpolitische Streitschrift mit Dokumenten von Michael Mauke bis Rudi Dutschke

Essen: Klartext 2011; 317 S.; 19,95 €; ISBN 978-3-8375-0481-1
Die beiden Autoren legen ein großartiges und schön zu lesendes Buch über ein wesentliches Kapitel nachkriegsdeutscher Geschichte vor. Ursprünglich angesetzt als Gegendarstellung zu mehreren Beiträgen des deutschen Historikers Knabe in der FAZ, in welchen dieser den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) mehr oder weniger als verlängerten westdeutschen Arm der Stasi abqualifizierte, nahm die Analyse letzten Endes einen weitaus größeren Umfang an und basiert auf der detaillierten (und teilweise ersten strukturierten) Auswertung von zahlreichen Archivdokumenten (zu finden im umfassenden Anhang des Buches). Von seinen Anfängen als SPD-nahe Jugendorganisation über seine Distanzierung und Verselbstständigung bis hin zu einem der Hauptakteure der 68er-Bewegung unter Dutschke wird die Geschichte des SDS mit all seinen internen Widersprüchen und Konflikten anschaulich nacherzählt. Einer der Interessenschwerpunkte liegt folglich auf der Frage, welches Verhältnis der SDS zur Stasi bzw. allgemeiner der DDR sowie infolgedessen zur deutschen nationalen Frage hatte. Obwohl es der Stasi in zwei Fällen gelungen war, eigene Informanten in den SDS einzuschleusen, wird deutlich, dass das Ziel der Wiedervereinigung nahezu durchgehend einen hohen Stellenwert für den SDS besaß. Der real existierende Sozialismus des östlichen Deutschlands wurde dabei jedoch als undemokratisch und autoritär abgelehnt. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und so gab es immer wieder auch einzelne Mitglieder und (kleine) Fraktionen, die der SED und ihrem Umfeld ideologisch nahe standen (zum Teil waren dies Personen, die sich später im Kreise der RAF wiederfanden). Zugleich wird jedoch deutlich, dass derartige Fraktionen nie über eine Minderheitenposition hinauskamen und sich die (entscheidungsrelevante) Mehrheit des SDS wiederholt (verbal oder durch Gremienausschlüsse) davon distanzierte. Empfehlenswert ist das Buch nicht nur deshalb, weil es sich analytisch detailliert gegen populistisch motivierte Geschichtsdarstellungen stellt; es bietet zudem eine der wenigen Abhandlungen über den SDS, die über das enge Zeitfenster der 68er-Bewegung hinausgehen.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.35 | 2.314 | 2.313 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Tilman P. Fichter / Siegward Lönnendonker: Dutschkes Deutschland. Essen: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33755-dutschkes-deutschland_40433, veröffentlicht am 02.02.2012. Buch-Nr.: 40433 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken