Skip to main content
Hendrik Meyer

Was kann der Staat? Eine Analyse der rot-grünen Reformen in der Sozialpolitik

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (Edition Politik); 279 S.; kart., 32,80 €; ISBN 978-3-8376-2312-3
Politikwiss. Diss. Münster; Begutachtung: K. Schubert, K. Schulze‑Buschoff. – Angesichts von Globalisierung und Europäisierung dominierte – auch in den Politikwissenschaften – in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine tiefgreifende Skepsis gegenüber der Handlungsfähigkeit des Staates. Gerade der deutsche (Sozial‑)Staat wurde aufgrund institutioneller Schranken und strategischer Vetomöglichkeiten mit Reformblockaden und politischem Stillstand in Verbindung gebracht. Zwar ist im Rahmen der Finanzkrise vermehrt von einer Rückkehr des Staates die Rede, allerdings lässt sich eine Abweichung von vorherigen Politiken hauptsächlich im Bereich der Finanzpolitik verorten. Hendrik Meyer hingegen will mit seiner Arbeit zeigen, dass auch im bedeutenden Politikfeld der Sozialpolitik der Staat durchaus handlungsfähig ist. Hierzu analysiert er mit der Riester‑Rente und den Hartz‑Reformen zwei Fallbeispiele aus der jüngeren Vergangenheit, mit denen in der Sozialpolitik ein radikaler Kurswechsel eingeleitet wurde. Methodisch greift der Autor auf die Untersuchung unterschiedlicher Phasen des policy cycles sowie verschiedene potenzielle politische Praktiken zurück (die von Abstimmung und Verhandlung bis zu Konfrontation und Drohung reichen). Er gelangt zu dem Ergebnis, dass es der rot‑grünen Bundesregierung gelungen ist, institutionelle Beschränkungen zu überwinden, um einen Politikwechsel herbeizuführen. Von wesentlicher strategischer Bedeutung sei dabei die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf eine Kernexekutive gewesen. Diese Machtkonzentration habe vor allem auf den Mechanismen von Konfrontation und dem Ausschluss sozialer Interessengruppen basiert. Der deutsche Staat sei – so die Schlussfolgerung – handlungsfähiger als gemeinhin angenommen. Das „zentrale Moment bei der Durchsetzung umstrittener Reformen“ sei dabei „die hierarchische Überordnung führender Akteure der Kernexekutive in einem ansonsten auf Machtbeschränkung ausgelegten politischen System“ (232). Allerdings wird implizit deutlich, dass die Handlungsfähigkeit des Staates nicht unwesentlich durch die strategische Aushebelung demokratischer Prozesse zustande kam. Ob dies ein wünschenswerter Befund ist – zumal sich auch im Rahmen der Finanzkrise ganz ähnliche Entwicklungen in Europa zeigen – und wie sich vor dem Hintergrund der ökonomischen Globalisierung die politische Handlungsfähigkeit ohne die Beschneidung demokratischer Institutionen erhalten lässt, ist hierbei sicherlich die bedeutendere Frage, auf die sich die weitere Forschung konzentrieren muss.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.342 | 2.315 | 2.331 | 2.32 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Hendrik Meyer: Was kann der Staat? Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35886-was-kann-der-staat_43779, veröffentlicht am 27.06.2013. Buch-Nr.: 43779 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken