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Ingo Wallner

Kultur- und Nationalbewusstsein. Zur Gestaltung einer nationalen Identität Madagaskars

Online-Publikation 2013 (http://miami.uni-muenster.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-6767/diss_wallner.pdf); III, 378 S.
Ethnologische Diss. Münster; Begutachtung: J. Platenkamp, S. Klocke‑Daffa. – Durch die Inklusion vieler Einzelgruppen im neu gegründeten Merina‑Königreich gelang es den Herrschern auf Madagaskar im 17. Jahrhundert, eine Gesellschaft zu konstituieren und intern zu stabilisieren. Jedoch schwelen seither inter‑ethnische Konflikte zwischen den an der Küste lebenden Gruppen (Côtiers) und dem Hochland‑Volksstamm der Merina. Auch vor und mit der Unabhängigkeit Madagaskars 1960 ist dieser Konflikt nicht beendet worden, sondern fortan eingebettet in die große Frage, ob tatsächlich eine Nation vorhanden ist, die auf einem identitätsstiftenden Element beruht. Vor diesem Hintergrund steht die „Beantwortung der Fragen, ob sich nationale Identität in einem multi‑ethnisch geprägten Land wie Madagaskar – mit seiner kultur‑ideologischen Wertebasis und gemeinsamer Historie – entwickelt hat, welche erkennbaren Maßnahmen der Staat zur Entwicklung von nationaler Identität zeigt oder ob sich in dem multi‑ethnischen Staat nationale Identität eher als Wunschbild oder nur als rudimentär präsentiert, […] im Mittelpunkt dieser Arbeit“ (7). Die vom französischen Vorbild inspirierte, bereits mehrfach geänderte Verfassung betonte und betont stets, dass sich das madagassische Volk als eine Nation versteht, die sich über einen souveränen, unitarischen und republikanischen Staat organisiert. Zugleich werden auch das Volk einigende kulturelle und spirituelle Wertvorstellungen (Malgachéité) hervorgehoben, indem beispielsweise die Fihavanana (wechselseitige Solidarbeziehung innerhalb einer kosmologischen Ordnung) und die Fokonolona (gemeindliche Selbstverwaltung) angeführt werden. Trotz dieser sinnstiftenden Momente wird, wie Ingo Wallner zeigt, das Verständnis von Fihavanana verkürzt und durch ein dichotomes Wir‑und‑die‑Anderen‑Denken de facto zu einem System der gesellschaftlichen Segmentierung. Das gewünschte Sozialverhalten wird dabei zwar noch herbeigeführt, mit den Sanktionen aber, die bei Verletzung der Regeln nach der eigentlichen Bedeutung vorgesehen sind, wird nicht mehr operiert. Auch in vielen anderen Bereichen wie etwa der Sprache, dem Schutz der Natur und Umgang mit Ressourcen, dem in Schulen vermittelten Geschichtsbild sowie Symbolen und Riten, die der Autor in seiner überzeugenden Dissertation analysiert, ist zwischen gewünschter nationaler Einheit und tatsächlich vorhandener Identität ein Widerspruch erkennbar, den Madagaskar bisher nicht aufzulösen vermochte.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.67 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Ingo Wallner: Kultur- und Nationalbewusstsein. 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36433-kultur--und-nationalbewusstsein_44442, veröffentlicht am 21.11.2013. Buch-Nr.: 44442 Rezension drucken