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Nandor Knust

Strafrecht und Gacaca. Entwicklung eines pluralistischen Rechtmodells am Beispiel des ruandischen Völkermordes

Freiburg: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht 2013 (Strafrechtliche Forschungsberichte S 135); XXVII, 423 S.; brosch., 41,- €; ISBN 978-3-86113-824-2
Diss. Freiburg i. Br.; Begutachtung: U. Sieber. – Nandor Knust, Leiter des Referats für Internationales Strafrecht der International Max Planck Research School, untersucht das Potenzial pluralistischer rechtlicher Mechanismen zur juristischen Aufarbeitung von Massenverbrechen am Beispiel Ruandas. Der Fall des ostafrikanischen Binnenstaates stellt sich dabei als komplex dar: neben dem vom UN‑Sicherheitsrat auf den Weg gebrachten Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) existieren nationale Strafgerichte, bestehend aus Spezialkammern und Militärgerichten, und das System der Gacaca‑Gerichte, welches auf den lokalen Konfliktlösungsmechanismen dörflicher Gemeinschaften aufbaut. Den Zielen von Transitional Justice, zu denen Wahrheitsfindung, Aufarbeitung vergangener Verbrechen und Versöhnung gehören, stehen Interaktionsprobleme gegenüber, die sich zum Beispiel aus den Gegensätzlichkeiten formeller und informeller Gerichtsbarkeiten, gesellschaftlicher und staatlicher Mechanismen der Wahrheitsfindung und Amnestie‑ und Strafverfolgungsmaßnahmen ergeben können. Der Frage, ob und wie diese Ziele also erreicht werden können, nähert sich Knust in einem Strafrechtsvergleich mittels Experteninterviews und der Methode der teilnehmenden Beobachtung. Hierzu legt er eine Matrix mit Bewertungskriterien vor, die für ein geeignetes Pluralistisches Modell der Transitional Justice (PMTJ) notwendigerweise erfüllt sein müssen. Wie vielgestaltig die Anforderungen an dieses Modell sind, wird beispielsweise beim Problem der Wahrheitsfindung offenkundig: neben der forensischen Wahrheitsfindung, die durch Spezialisten wie Richter und Ankläger erfolgt, müssen die persönliche Wahrheit, die der subjektiven Sicht der Beteiligten gehorcht, und die soziale Wahrheit, die in kommunikativen Gemeinschaftsprozessen ermittelt wird, gefunden und auf ihre Geeignetheit zur Aussöhnung der Gesellschaft überprüft werden. Knust macht deutlich, dass angesichts dieser Mammutaufgabe keines der untersuchten Systeme allein eine vollständige rechtliche Aufarbeitung garantieren kann. PMTJ muss demensprechend „Rationalisierungsprozesse“ (375) enthalten, die sich durch Zuständigkeitsebenen, die angewandten Untersuchungsmechanismen und Kategorisierungsverfahren unterscheiden. Darüber hinaus gilt, dass trotz des Rückgriffs auf innovative Mechanismen von Transitional Justice im Falle von Massenverbrechen nicht alle Täter „zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden und gleichzeitig die Verfahrensgarantien nach internationalen Standards vollumfänglich gewährleistet werden“ (409) können.
Christian Patz (CPA)
M.A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Institut für Sozialwissenschaften, Fachbereich Politikwissenschaft, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Rubrizierung: 2.672.254.414.14.3 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Nandor Knust: Strafrecht und Gacaca. Freiburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37586-strafrecht-und-gacaca_45758, veröffentlicht am 25.09.2014. Buch-Nr.: 45758 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken