Dieser Essay ist dem Genre der politischen Zeit‑ und Krisendiagnosen zuzuordnen; dabei handelt es sich gewissermaßen um eine Fortführung der Postdemokratie‑Diagnose von Colin Crouch, wenn auch die Bedrohung in diesem Fall aus anderer Richtung zu erwachsen scheint. Jacques de Saint Victor macht sich Gedanken „über die Gefahren, die unserer Demokratie vonseiten derer drohen, die drauf und dran sind, sie zu zerstören, unter dem Vorwand, sie retten zu wollen“ (16). Analyse und Diagnose stützen sich dabei nahezu ausschließlich auf das jüngere Italien und so wird sich de Saint Victor wie schon Crouch die Frage gefallen lassen müssen, ob damit tatsächlich ein „neues Kapitel“ (9) in der Geschichte aller westlichen Demokratien treffend beschrieben ist. Ausgehend von der Fünf‑Sterne‑Bewegung Beppe Grillos reflektiert der Autor die eigentümliche Melange von sich selbst als antipolitisch verstehenden Anti‑Establishment‑Bewegungen und Webaktivist_innen, die sich einer Erneuerung der Demokratie (als umfassend transparenter und direkter) verpflichtet fühlen. Wenngleich die Wertungen mitunter zu pauschal erscheinen, so sind seine daraus resultierende Reflexionen über die Fallstricke einer direkten Mausklick‑Demokratie und zum (Un‑)Wert von Transparenz in der Politik durchaus stimulierend. Der Essay vermittelt fraglos interessante Einblicke in das Innenleben des gegenwärtigen politischen Systems Italiens, ein systematischer Gewinn ist aber nicht unmittelbar zu erkennen. Zu sehr wirkt die Schrift wie eine „Entlarvung“ – eine Strategie, die der Autor als „primitive Logik“ diskreditiert und als „Waffe“ (67) der Antipolitischen vorstellt. Absolut lesenswert ist der recht unvermittelt angefügte Beitrag von Raymond Geuss zum spannungsvollen Verhältnis von republikanischer Verfassungsstaatlichkeit, Demokratie und kapitalistischer Wirtschaftsform. Auch Geuss fragt im Zuge dessen nach Wohl und Wehe der Digitalisierung für die Demokratie, aber die verlagseigene Bezeichnung als Kommentar ist insofern irreführend, als Jacques de Saint Victor dabei mit keiner Silbe Erwähnung findet – beide Teile stehen ziemlich unverbunden nebeneinander.