Wir sind ein Volk: 1989/90 wurde nicht nur auf den Straßen Einheit skandiert, sondern auch am Zentralen Runden Tisch der DDR diskutiert. Dort forderte der Unabhängige Frauenverband (ein Zusammenschluss aus Teilen der bereits in den 80er-Jahren in der DDR gegründeten informellen Frauengruppen, wie. z. B. Lesbengruppen) Gleichheit, vor allem Geschlechtergleichheit. Der Verband sah sich in seinen Rufen nach einer konsequenten Frauenförderpolitik und einer grundlegenden Revision der staatlichen und gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse schnell enttäuscht: Wie so oft in der Geschichte der Frauenbewegung wurde die Frauenfrage dem großen Ganzen, in diesem Fall dem Projekt Anschluss und Demokratisierung der DDR, untergeordnet. In ihrer sehr stringenten Studie verlässt sich Sänger bei der Beschreibung der Machtlosigkeit des Unabhängigen Frauenverbandes nicht allein auf äußere Widerstände, wie die sinkende Bedeutung des Runden Tisches oder deren fehlende interne Sanktionsmöglichkeiten für nicht eingehaltene Beschlüsse. Sie führt auch die Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der Arbeitsgruppen auf und legt den mangelnden politischen Willen des Gremiums bloß. Damit zeigt sie eine weitere, bisher unbeschriebene Seite der Umbruchs- und Aufbruchsmonate 1989/90: die Kontinuität und Tradierung hierarchischer Geschlechterverhältnisse sowie die Hoffnungen der Ostfrauen auf Etablierung einer geschlechtergerechten Demokratie. Wie diese Chancen verhandelt und dann doch verschenkt wurden, weist Sänger anhand der kritischen Analyse der Wortprotokolle des Runden Tisches sowie durch die Befragung von 17 Zeitzeuginnen nach und liefert damit einen wichtigen Beitrag zu der bislang quantitativ wie qualitativ sehr dürftigen Forschungsliteratur zur ostdeutschen Frauenbewegung.