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Holger Gertz

Brüder & Schwestern. Ein Besuch bei den Deutschen

Köln: Fackelträger 2009; 221 S.; geb., 19,95 €; ISBN 978-3-7716-4395-9
Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer reist der Autor durch Deutschland, um in reportageartigen Skizzen den Stand der Einheit zu klären. Anhand der Lebensgeschichte der Vietnamesin Phuong Kollath schildert der Autor die Situation von Migranten im vereinigten Deutschland. Kollath hatte bereits zu Zeiten der DDR damit leben müssen, als „Fidschi“ diskriminiert zu werden. Diesen Prozess eines Rassismus aus Neid beschreibt der Autor und legt dar, wie aus „Konkurrenz Feindschaft, aus Feindschaft Hass, aus Hass Fremdenhass“ (36) wächst. Nach der Wende steckte der rassistische Mob von Rostock-Lichtenhagen jedoch just jenes Haus an, in dem Kollath bis kurz zuvor noch gelebt hatte. Von 40 Verurteilten „wurde niemand so bestraft, wie er das verdient gehabt hätte“, bewertet Gertz die Urteile. Stattdessen habe die Politik reagiert, indem sie das Asylrecht verschärfte: „Der Umgang mit Asylbewerbern gehört zu den ungelösten Problemen einer Gesellschaft, die keine Mitte gefunden hat und keinen Ausgleich zwischen arm und reich“ (41). In Gertz‘ Schilderung eines Zusammentreffens mit Peter Sodann während dessen Kandidatur um das Amt des Bundespräsidenten wird deutlich, dass der Autor den Typ des professionellen Berufspolitikers entschieden ablehnt. So glaube „einem Salonlinken“ wie Oskar Lafontaine schließlich keiner, „dass er sich wirklich für die Arbeiterklasse interessiert“ (71). Die Sympathie des Autors für Sodann will jedoch nicht recht auf den Leser überspringen, wenn Gertz halbgare Äußerungen des Kandidaten zitiert, die er gutmütig nur als Symptom für dessen Willen zur Ehrlichkeit deutet. Anhand Martin Sonneborns, des früheren Chefs des Satiremagazins Titanic, und dessen Projekt „DIE PARTEI“, führt Gertz die subversive Macht der politischen Satire vor. Sonneborn fordert auf, eine Petition zum Wiederaufbau der Mauer zu zeichnen. Den Hintergrund bilden Umfragen, wonach jeder vierte bis fünfte Deutsche sich die Mauer zurückwünscht. Die Frage, wann das Land endlich eins ist, beantwortet Sonneborn jedoch ernst: „Wenn alle gestorben sind, die sich erinnern können“ (208).
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Holger Gertz: Brüder & Schwestern. Köln: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30633-brueder--schwestern_36380, veröffentlicht am 24.07.2009. Buch-Nr.: 36380 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken