Skip to main content
Rüdiger Wenzke (Hrsg.)

"Damit hatten wir die Initiative verloren". Zur Rolle der bewaffneten Kräfte in der DDR 1989/90. Hrsg. im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Berlin: Ch. Links Verlag 2014 (Militärgeschichte der DDR 23); VIII, 258 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-86153-809-7
„Grob überschlagen kam auf 42 DDR‑Bürger ein hauptamtlicher Waffenträger“ (2) – Paramilitärs und Sowjetsoldaten noch gar nicht eingerechnet. Trotzdem lief die Revolution in der DDR 1989 friedlich ab. Warum fiel kein Schuss? Die oft gestellte Frage, warum die SED nicht massiv Armee und Sicherheitskräfte gegen Demonstranten einsetzte, könnten auch die Autoren des Sammelbands nicht letztgültig klären, gibt Rüdiger Wenzke zu. Er ist Direktor des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr – der Behörde, für die er auch das Buch herausgibt. In seinem eigenen Beitrag untersucht er die Rolle der Nationalen Volksarmee sowie der Grenztruppen als zentrale Organe des DDR‑Sicherheitsapparates. Beide hätten schon in der Vorwendezeit massiv unter dem Druck von Umstrukturierungen und Führungsproblemen gestanden, was zu Frustration unter den Soldaten und Passivität bei den Offizieren geführt habe. Im entscheidenden Moment des Mauerfalls habe an den bestürmten Grenzübergängen die besonnene Reaktion einzelner Militärs eine blutige Eskalation verhindert. Daniel Niemetz widmet sich den Volkspolizei‑Bereitschaften und den „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“. Beide seien als Reaktion auf den Aufstand im Juni 1953 gegründet worden, bei der das Überleben der SED‑Führung nur dem Eingreifen der sowjetischen Armee zu verdanken gewesen sei. Doch als es Jahrzehnte später erneut zu Massenprotesten gekommen sei, „waren jene Volkspolizisten, die unmittelbar im Brennpunkt des Geschehens standen, immer weniger bereit, ihren Kopf für eine verfehlte Politik hinzuhalten“ (135). Die Einsatzkräfte verweigerten zunehmend die Gewaltanwendung gegen Demonstranten. Ab dem 9. Oktober 1989 habe es solche Übergriffe gar nicht mehr gegeben. Matthias Uhl fragt, warum auch die Sowjetunion ihre Soldaten in der DDR in den Kasernen und den Umsturz damit geschehen ließ. Die Führung unter Gorbatschow habe vor allem den Zusammenhalt des sozialistischen Lagers und die eigenen Reformen nicht durch Gewalt gegen die Bevölkerung gefährden wollen. Moskau habe also Befehl gegeben, sich passiv zu verhalten und lediglich militärische Anlagen, vor allem Waffendepots, zu schützen. „Ohne die Gewehrläufe der Sowjetarmee und eine entsprechende Garantie ihres Einsatzes im Ernstfall war die DDR nicht überlebensfähig.“ (159) Der eher auf militärtechnische und historische als politische Aspekte fokussierte Sammelband wird durch Zeittafeln und einen Dokumentenanhang ergänzt.
{WDE}
Rubrizierung: 2.3142.624.1 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Rüdiger Wenzke (Hrsg.): "Damit hatten wir die Initiative verloren" Berlin: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38113-damit-hatten-wir-die-initiative-verloren_46278, veröffentlicht am 26.02.2015. Buch-Nr.: 46278 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken