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Joël Kotek / Pierre Rigoulot

Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung

Berlin: Propyläen Verlag 2000; 768 S.; geb., 35,- €; ISBN 3-549-07143-4
Die beiden Historiker - Rigoulot war bereits Koautor des "Schwarzbuches des Kommunismus" - präsentieren eine weitere Geschichte der Schrecknisse des 20. Jahrhunderts. Nicht ohne Grund wird die Herrschaft der Lager häufig in eine "erschreckende, aber zusammenhängende, gewissermaßen logische Einheit" (11) mit Totalitarismus gesetzt. Die Studie geht jedoch auch den Anfängen und Vorläufern der Konzentrationslager des Totalitarismus nach, die weder im faschistischen Italien noch im GULag-System der Sowjetunion zu finden sind, sondern bis zum nationalen Befreiungskampf in Kuba und zum Burenkrieg in Südafrika an der Wende zum 20. Jahrhundert zurückgehen. Ziel der Klassifizierung und Bilanzierung der Lagersysteme des 20. Jahrhunderts ist jedoch in keiner Weise deren gegenseitige Relativierung oder die Bestimmung eines "Ursprungs des Bösen": "Der Hinweis, wonach der GULag vor Auschwitz existiert habe, ist nicht falsch, aber aus mindestens zwei prinzipiellen Gründen überflüssig: Zunächst einmal, weil sich die Shoah, die Vernichtung der Juden, stricto sensu außerhalb des nationalsozialistischen KZ-Systems vollzog, und vor allem deshalb, weil es im GULag für die nationalsozialistischen Vernichtungszentren keine Entsprechung gab." (22) In einer ausführlichen Einleitung versuchen die Autoren, eine Klassifizierung der Lager nach sechs Funktionen vorzunehmen (vorbeugende Isolierung, Bestrafung und Umerziehung, Terrorisierung der Zivilbevölkerung, wirtschaftliche Ausbeutung durch Zwangsarbeit, Umgestaltung der Gesellschaft und Vernichtung in "Todesfabriken") und gelangen somit zu drei Grundtypen von Lagern: Internierungslager, Konzentrationslager und "Zentren zur Vernichtung oder sofortigen Tötung" (21). Die Analysen der einzelnen Epochen und Lagersysteme von Beginn des Jahrhunderts bis zu den Konzentrationslagern der 90er-Jahre in Ex-Jugoslawien und den auch weiterhin existierenden Umerziehungslagern in China, Vietnam und Nordkorea beruhen natürlich auf einer unterschiedlichen Lage der Quellen und historischen Vorarbeiten und mussten dementsprechend in ihrem Umfang unterschiedlich gewichtet werden. Dennoch bietet das Werk einen beeindruckenden Überblick über die Einmaligkeit und Systematik des Grauens, zu dem der moderne Mensch im 20. Jahrhundert fähig war (und ist). Inhaltsübersicht: 1896 - Kuba; 1900 - Die Buren; 1904 - Die Herero; 1914 - Der Erste Weltkrieg; 1915 - Die Armenier; 1918 - Der GULag; 1926 - Von Mussolini bis Vichy; 1933 - Der Nationalsozialismus; 1940 - Amerika und Japan; 1945 - Juden und Kollaborateure; 1945 - Der Ostblock; 1947 - Diktaturen und Kolonien; 1950 - Asien; 1964 - Lateinamerika; 1992 - Ex-Jugoslawien; Die Konzentrationslager: Das Ende einer unendlichen Geschichte?
Andreas Eis (AE)
Jun.-Prof. Dr., Didaktik des politischen Unterrichts und der politischen Bildung, Institut für Sozialwissenschaften Oldenburg, Fakultät I.
Rubrizierung: 2.25 | 2.312 | 2.62 | 2.64 | 2.65 | 2.68 | 2.61 | 2.67 Empfohlene Zitierweise: Andreas Eis, Rezension zu: Joël Kotek / Pierre Rigoulot: Das Jahrhundert der Lager. Berlin: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14581-das-jahrhundert-der-lager_18208, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 18208 Rezension drucken