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Harry Cleaver

"Das Kapital" politisch lesen. Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Renate Nahar. Hrsg. von Martin Birkner

Wien: Mandelbaum Verlag 2012 (kritik & utopie); 331 S.; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-85476-604-9
Diese Interpretation des Marx’schen Hauptwerks erschien 1979 zum ersten Mal in englischer Sprache und wurde nun ins Deutsche übertragen. Die Übersetzung wird um ein Vorwort des Autors ergänzt, in dem er die Grundzüge seines Ansatzes erläutert. Cleaver begründet die ungebrochene Aktualität seiner politischen Lesart mit der zunehmenden Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, Arbeit durchzusetzen und ein akzeptables Niveau der Produktivität zu erreichen. Währungs- und Finanzkrisen haben ihre Ursache seiner Meinung nach nicht in der Überakkumulation, sondern in der Krise der Klassenmacht des Kapitals. Er folgt der Tradition eines „Autonomist Marxism“, womit er eine Theorieströmung bezeichnet, die die autonomen Kämpfe der Arbeiterklasse gegen das Kapital hervorhebt und deren Analyse ins Zentrum stellt. Entgegen Verheißungen vom Ende der Arbeit (wie z. B. bei Negri) rückt Cleaver die Arbeitswerttheorie in den Mittelpunkt der Untersuchung des Klassenverhältnisses. Sein Arbeitsbegriff umfasst sowohl warenproduzierende Lohnarbeit als auch nichtentlohnte Arbeit zur Reproduktion der Arbeitskraft (z. B. Hausarbeit, Kinderbetreuung), die für einen funktionierenden Arbeitsmarkt notwendig ist. Der Analyse des ersten Kapitels des Marx’schen Kapitals stellt er ein hundertseitiges Vorwort zu 150 Jahren Rezeptionsgeschichte marxistischer Theorie voran. Cleaver kritisiert an der politisch-ökonomischen und der philosophischen Lesart, dass sie die Entwicklung des Kapitals überbetont und als autonom vom Klassenkampf definiert haben. Sie verkennen damit das Marx’sche Hauptanliegen, den Handlungsspielraum und die Macht der Arbeiter zu klären. Die politische Lektüre des Kapitals bestehe darin, nicht nur das Kapital zu kritisieren, sondern von den gegenwärtigen Kämpfen der Arbeiter auszugehen und strategisch danach zu fragen, wie ihre Macht vergrößert werden könne. Für Cleaver dient Marx‘ Hauptwerk in erster Linie als politisches Werkzeug für die Arbeiterklasse, um neue Formen der Produktion, Distribution und Konsumtion des gesellschaftlichen Reichtums zu denken und den Kapitalismus zu überwinden.
Andreas Hetzer (AHE)
Diplom-Medienwirt, Lehrkraft für besondere Aufgaben, Fach Politikwissenschaft, Universität Siegen.
Rubrizierung: 5.33 | 5.45 Empfohlene Zitierweise: Andreas Hetzer, Rezension zu: Harry Cleaver: "Das Kapital" politisch lesen. Wien: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34490-das-kapital-politisch-lesen_41425, veröffentlicht am 12.04.2012. Buch-Nr.: 41425 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken