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Manfred Asendorf / Rolf von Bockel (Hrsg.)

Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten

Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler 1997; XI, 747 S.; geb., 148,- DM; ISBN 3-476-01244-1
420 meist auf drei bis vier Spalten ausgebreitete "biographische Porträts", verfaßt von etwa 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Geschichts-, Literatur- und Politikwissenschaft, herausgegeben und eingeleitet von zwei Mitarbeitern aus der von dem Hamburger Mäzen Jan Philipp Reemtsma gesponserten Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, bieten den Inhalt dieses 750 Seiten umfassenden Lexikons. Ausgewählt wurden Männer und - überraschenderweise auch relativ viele - Frauen, die sich seit Reformation und Bauernkrieg bis in die Zeit der Bundesrepublik hinein den Grundgedanken der Demokratie, der Gleichheit und Freiheit, in vielfältigster Weise verbunden fühlten: Indem dabei "von Menschen, von denkenden und fühlenden, von handelnden und leidenden, gewiß auch von irrenden Menschen, auch von Menschen, die selbst Schuld auf sich luden" (IX f.), die Rede ist, soll dem Gedanken Rechnung getragen werden, daß die demokratische Frage hierzulande (fast) immer Fort- und Rückschritte zu erdulden hatte, den besten Idealen verbunden wie den fürchterlichsten Verwerfungen ausgesetzt war. Und so findet man Biographien etwa von Martin Luther und Thomas Müntzer, von Kant und Lessing, von jenem deutschen Jakobiner Eulogius Schneider, der mit der Guillotine die Gedanken der Französischen Revolution den Menschen beibringen wollte, 1794 aber dann vom Pariser Revolutionstribunal mit selbiger hingerichtet wurde, aber auch Biographien von Wilhelm von Humboldt, von Hegel, Feuerbach und Marx, von Clara Zetkin, Helene Stöcker und Rosa Luxemburg, von Arnold Brecht, Carl von Ossietzky und Hermann Heller, von Carlo Schmid, der im letzten Kabinett Adenauer als Gesundheitsministerin amtierenden Elisabeth Schwarzhaupt, Herbert Wehner und Willy Brandt. Als Jüngstgeborene dieser langen Kette von Frauenrechtlerinnen, Politikern und Philosophinnen, von Literatinnen und Wissenschaftlern finden die beiden Nazi-Opfer Hans und Sophie Scholl Eingang in das Werk. Ein alphabetisches Verzeichnis der Biographien, ein chronologisches Verzeichnis nach Geburtsjahren und ein ausführliches Namenregister erleichtern sowohl die Einordnung einzelner Persönlichkeiten in ihrer Zeit als auch das Nachspüren zentraler Gedankengänge, wie etwa Frauenemanzipation, durch die Zeitläufte hindurch. Die Artikel sind allesamt sehr informativ und gut lesbar; die relativ vielen Druckfehler verärgern, vor allem dann, wenn sie Sinn entstellen (z. B. Reichsstaat statt Rechtsstaat im Artikel über Ernst Fraenkel). Manche Auslassung verwundert: Warum beispielsweise kein Artikel über Hans Kelsen oder Karl Raimund Popper? Aber insgesamt: Ein mutiges und beachtliches Lexikon. Und vor allem eines, das zeigt, daß Demokratie in Deutschland durchaus über eine lange und in (fast) allen Schichten der Bevölkerung mehr oder weniger beheimatete Tradition hat, kontinuierlich und gebrochen, erwünscht und bekämpft - fast wie in den anderen langjährigen westlichen Demokratien auch.
Wolfgang Gessenharter (Ge)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.31 | 2.331 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Gessenharter, Rezension zu: Manfred Asendorf / Rolf von Bockel (Hrsg.): Demokratische Wege. Stuttgart/Weimar: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/2754-demokratische-wege_3612, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 3612 Rezension drucken