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Jan Philipp Wölbern

Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63-1989. Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (Analysen und Dokumente 38); 563 S.; 39,99 €; ISBN 978-3-525-35079-9
Diss. Potsdam; Begutachtung: M. Sabrow, Th. Brechenmacher. – Das Passierscheinabkommen vom Dezember 1963 gilt als der erste Schritt zur Annäherung der beiden deutschen Staaten, tatsächlich aber gebührt der ersten Vereinbarung zum Freikauf von Menschen, die in der DDR inhaftiert waren, diese Zuschreibung. Jan Philipp Wölbern stellt den Häftlingsfreikauf, der sich zu einem zentralen Bestandteil der deutschen Ost‑West‑Beziehungen bis zum Mauerfall entwickeln sollte, in dieser geschichtswissenschaftlichen Dissertation ausführlich und überzeugend dar. Wölbern hat dabei, ähnlich wie andere Autoren vor ihm, mit der Schwierigkeit umzugehen, dass die „Unterlagen in den Archiven der DDR in der Regel zugänglich“ sind, „doch ist der größte Teil der seinerzeit angefertigten Dokumente nicht mehr vorhanden. Genau umgekehrt ist die Lage in Bezug auf die Archive der Bundesrepublik: Hier ist offenbar der größte Teil der […] Dokumente zwar noch vorhanden, aber nicht zugänglich“ (20). Die andauernde Geheimhaltungspraxis des Bundes ist, wie von ihm kritisiert, nicht nachzuvollziehen, war doch der Handel von westlicher Seite aus unbestritten von Mitmenschlichkeit geleitet. Dennoch sind sogar teilweise die Archive von Politikern noch gesperrt: Während Wölbern den Nachlass von Herbert Wehner, einem der wichtigen Protagonisten dieser deutsch‑deutschen „Verflechtung“ (495), einsehen konnte, blieb der von Franz Josef Strauß unzugänglich. Dennoch konnte Wölbern umfangreiche Informationen zusammentragen. Hervorzuheben ist, dass er nicht nur die historische Entwicklung des Häftlingsfreikaufs nachzeichnet und dabei Strukturen wie Akteure offenlegt, sondern zudem unter anderem fragt, wie der Freikauf in seinen verschiedenen Phasen in Bezug auf die Formierung einer Opposition in der DDR zu sehen ist – etwa jeder dritte politische Häftling wurde im Laufe der Zeit freigekauft, aber nicht jeder von ihnen reiste aus. Interessant ist schließlich auch, wie insgesamt der vonseiten der DDR allein wirtschaftlichen Interessen folgende Verkauf von 33.000 Menschen für mehr als drei Milliarden D‑Mark auf die Diktatur zurückwirkte: Nachzulesen sind Verstimmungen und Verärgerungen bei Richtern, Staatsanwälten und im Ministerium für Staatssicherheit, der Freikauf „verursachte einen Autoritätsverlust der staatlichen Amtsträger, führte zur Desorientierung […] und beschleunigte den Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Führung“ (434).
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Rubrizierung: 2.3142.313 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jan Philipp Wölbern: Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63-1989. Göttingen u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37855-der-haeftlingsfreikauf-aus-der-ddr-196263-1989_45410, veröffentlicht am 04.12.2014. Buch-Nr.: 45410 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken