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John Weiss

Der lange Weg zum Holocaust. Die Geschichte der Judenfeindschaft in Deutschland und Österreich. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Norbert Juraschitz

Hamburg: Hoffmann und Campe 1997; 544 S.; geb., 58,- DM; ISBN 3-455-11210-2
"Der Holocaust ist einzigartig, aber nicht unerklärbar" (12) - in dem Bewußtsein, daß künftig nur zu verhindern sein wird, was sich an Vergangenem einer Erklärung nicht grundsätzlich sperrt, unternimmt der amerikanische Historiker Weiss den Versuch einer Erklärung des Holocaust. Wesentlich differenzierter als sein Landsmann Daniel Goldhagen verfolgt Weiss die Frage, "wie es dazu kam, daß in einem der am weitesten entwickelten Staaten des Westens Millionen von Unschuldigen einem uralten, barbarischen Mythos geopfert wurden" (13). Auch Weiss geht von der Hypothese aus, daß es sich beim Antisemitismus um eine "vom Volk getragene Ideologie" (7) gehandelt habe. Goldhagens Kollektivschuld-Vorwurf lehnt er jedoch als haltlos und unverantwortlich ab. Um nicht nur den in der Bevölkerung vorhandenen Antisemitismus, sondern vor allem auch den Antisemitismus der konservativen Führungsschichten, die Hitler zur Macht verhalfen, in den Blick nehmen zu können, unternimmt der Autor einen Rückgang in die Geschichte der Judenfeindschaft. Daß eine der wesentlichen Quellen dieser Feindschaft, der christliche Antijudaismus, in anderen europäischen Ländern nicht jene politische Virulenz entfalten konnte wie in Österreich und Deutschland, führt Weiss auf ein geistesgeschichtliches Phänomen zurück: "Die liberalen und säkularen Ideen der französischen und englischen Aufklärung schufen vielerorts ein kulturelles Gegengewicht zum Rassismus; in Deutschland und Österreich jedoch blieben diese Gegenkräfte wirkungslos." Stattdessen sei es reaktionären Kreisen gelungen, den Antisemitismus zu instrumentalisieren, um "demokratischen Liberalismus", "ökonomischen Fortschritt" und "soziale Reformansätze" (9) zu bekämpfen. So konnten die Juden die Opfer "einer einzigartigen, rassistisch geprägten Kultur" (10) werden; für Weiss ist der Holocaust nicht das Ergebnis einer gesamteuropäischen Entwicklung, sondern die Endstation eines deutsch-österreichischen Sonderweges. Aus dem Inhalt: 2. Luther und die Reformation; 4. Die Befreiung der Juden in Frankreich; 6. Antisemitismus in der Bismarck-Ära; 8. Der Antisemitismus der Eliten im Wilhelminismus; 10. Die Gegner des Antisemitismus; 11. Der katholische Antisemitismus in der Habsburger Monarchie; 14. Der Erste Weltkrieg; 18. Der Antisemitismus und die NSDAP-Wähler; 19. Hitler und die Eliten; 24. Widerstand, öffentliche Meinung, Wissen; 25. Nachspiel: Die Täter sprechen sich frei.
Barbara Zehnpfennnig (BZ)
Prof. Dr., Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 2.312 | 2.311 | 2.35 | 2.25 | 2.4 Empfohlene Zitierweise: Barbara Zehnpfennnig, Rezension zu: John Weiss: Der lange Weg zum Holocaust. Hamburg: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/2885-der-lange-weg-zum-holocaust_3792, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 3792 Rezension drucken