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Gabor Steingart

Deutschland. Der Abstieg eines Superstars

München/Zürich: Piper 2004; 303 S.; brosch., 13,- €; ISBN 3-492-04615-0
Schon lange merken die Deutschen, dass etwas faul ist in ihrem einstigen Wirtschaftswunderstaat. „Das Land ist von einer seltsamen Mutlosigkeit befallen, die Mehrzahl der Deutschen vermag sich die Zukunft derzeit nur als eine Addition von Zumutungen vorzustellen." (45) Umso stärker klammern sich alle an ihre Besitztümer und vermeintlichen Ansprüche. Der Spiegel-Journalist Steingart zeigt hingegen in seiner schonungslosen Analyse, dass die Basis für unser Sozial- und Wirtschaftssystem rapide erodiert. Insbesondere der produktive Kern der Volkswirtschaft zeige alle Anzeichen einer „Kernschmelze" (8). Anschaulich weist Steingart nach, dass exorbitant hohe Sozialabgaben in Verbindung mit hohen Sozialtransfers die Wirtschaft strangulieren. Das ganze System sei nur noch durch Verschuldung zusammenzuhalten, aber diese sei letztlich „der moderne Weg einer Nation, ihre Souveränität zu verlieren" (134). Steingart zeigt in einem ausführlichen historischen Rückblick, dass der wichtigste Grund für die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme in Adenauers „Jahrhundert-Irrtum" (Kapitel 4) lag, wider den Rat vieler Experten ein expansives, auf Lohnabgaben beruhendes Sozialsystem durchzusetzen. Die nachfolgenden Regierungen hätten nichts getan, dieser Fehlentwicklung gegenzusteuern; in den Siebzigerjahren sei das auf Pump finanzierte Sozialsystem sogar noch deutlich ausgeweitet worden, so Steingart. In der Krise stelle sich nun heraus, dass das politische System der Bundesrepublik kaum zu den notwendigen Reformen in der Lage sei: „Deutschland besitzt heute das langsamste Regierungssystem der Welt." (165) Steingart moniert sowohl die intransparente Finanzverfassung als auch die undurchsichtige Verschränktheit der politischen Verantwortlichkeit. Die Fehler, die im Einigungsprozess begangen wurden, hätten die bestehenden Tendenzen lediglich verstärkt. Im Endeffekt sei der Westen aufgrund der horrenden Transferzahlungen mittlerweile „zur Kolonie des Ostens" geworden (234). Im abschließenden Kapitel macht Steingart dann eine Reihe von Vorschlägen, die tatsächlich auf nichts weniger als eine „zweite Staatsgründung" (259) hinauslaufen. Er fordert u. a. eine große Verfassungsreform mit dem Ziel, eine funktionsfähige Zentralgewalt sowie klare politische und finanzielle Verantwortlichkeiten festzulegen; die Entkoppelung des Wohlfahrtsstaats von der Arbeitswelt; die Abkehr vom Prinzip der Sozialversicherung, weil dieses System heute nur noch die Arbeitnehmer belaste und deshalb sozial zutiefst ungerecht sei; ein vereinfachtes Steuersystem, das vor allem auch Vermögen entsprechend dem Vorbild der USA oder Großbritanniens konsequenter besteuert.
Walter Rösch (WR)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.3 | 2.31 | 2.33 | 2.34 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Walter Rösch, Rezension zu: Gabor Steingart: Deutschland. München/Zürich: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/20668-deutschland_24110, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24110 Rezension drucken