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Peer Pasternack, unter Mitarbeit von Daniel Hechler

Die DDR-Gesellschaftswissenschaften post mortem: Ein Vierteljahrhundert Nachleben (1990-2015) Zwischenfazit und bibliografische Dokumentation

Berlin: BWV Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH 2016 (Hochschul- und Wissenschaftsforschung Halle-Wittenberg); 613 S.; softc., 30,- €; ISBN 978-3-8305-3620-8
„Der Osten tickt anders, und keine etablierte Sozialwissenschaft vermag dies so recht zu erklären.“ (117) Vom Gipfel des „Literaturgebirges“ aber, das Peer Pasternack, Direktor des Institutes für Hochschulforschung an der Universität Halle‑Wittenberg, zusammen mit Daniel Hechler in diesem Band in „Tektonik und Substanz“ (194) abbildet, lichtet sich die Ahnungslosigkeit immerhin etwas – fällt doch der Blick auf eine Forschungslandschaft, in der die Zeit vor und nach 1989 ineinander übergehen, in der Brüche und Kontinuitäten zusammengeschoben sind. Seit 1990 sind nach Zählung der Autoren 1.710 selbstständige Arbeiten zum Bereich der Gesellschaftswissenschaften der DDR erschienen, statistisch also alle fünf Tage eine Publikation. Die DDR‑Gesellschaftswissenschaften haben also ein „postmortales Nachleben“ (15) entfaltet, das sich nur unter Beachtung ihres „Lebens“ erschließen lässt. Pasternack erläutert zunächst die Charakteristika dieser Gesellschaftswissenschaft, mit dem Begriff wurden die Geistes‑ und Sozialwissenschaften zusammengefasst, wobei „Wissenschaft instrumentell als Teil des gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozesses“ (200) verstanden wurde. „Den DDR‑Gesellschaftswissenschaften war hier schlechterdings Paradoxes abverlangt. Sie sollten sowohl Beiträge zur Optimierung gesellschaftlicher Prozesse erbringen als auch politische Maximen und Beschlüsse wissenschaftlich bestätigen.“ (202) Dieser hohe Grad an Politisierung ist für Pasternack nicht per se Grund für Mitleid, waren die Gesellschaftswissenschaften doch nicht allein „Gegenstand dieser Politisierung“, „sondern auch deren Agenten“ (17). Um das Literaturgebirge erkunden zu können, erklärt Pasternack die Entwicklung der Wissenschaft unter der Obhut der Politik vor 1989, zeigt „Einverständnis und Konflikte“ (34 ff.) auf und erläutert Jargon und Decodierung. Eine Einführung in die Fachzeitschriften der DDR vermittelt einen Eindruck davon, welche Spielräume genutzt werden konnten. Es folgt ein pointierter Überblick über die Ab‑ und Umbauten der ostdeutschen Universitäten und außeruniversitären Institute nach 1989, in dem die komplette Umwälzung des Forschungsbetriebs deutlich wird. Anschließend wird die nach 1989 veröffentlichte Literatur aufgeschlüsselt, zu der autobiografische Publikationen ebenso gehören wie literarische Verarbeitungen und komparatistisch angelegte Literatur; der DDR‑Philosophie ist ein gesonderter Abschnitt gewidmet, es treten dabei vor allem die Namen unangepasster Persönlichkeiten hervor. Der insgesamt sehr lesbare, gelegentlich von einem feinen ironischen Ton durchzogene Text bietet insgesamt einen hervorragenden Überblick; mehrere hundert Seiten sind dann akribisch mit einer annotierten Bibliografie gefüllt.
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Rubrizierung: 2.3152.3145.2 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Peer Pasternack, unter Mitarbeit von Daniel Hechler: Die DDR-Gesellschaftswissenschaften post mortem: Ein Vierteljahrhundert Nachleben (1990-2015) Berlin: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40174-die-ddr-gesellschaftswissenschaften-post-mortem-ein-vierteljahrhundert-nachleben-1990-2015_48475, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 48475 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken