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Johann Klarmann

Die erneute Demütigung. Hamburgs Umgang mit dem ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme 1945 bis 1985

Berlin: Lit 2013 (Veröffentlichungen des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte 33); 271 S.; 24,80 €; ISBN 978-3-643-12131-8
Diss. Hamburg; Begutachtung: F. Kopitzsch, U. Büttner. – Schon lange hat das Selbstbild Hamburgs als weltoffene Stadt, die vielleicht in die NS‑Gräuel nicht so sehr verwickelt gewesen sein mag, als dass sie viel aufzuarbeiten gehabt hätte, dicke Kratzer – gestritten wurde nicht um die Benennung der Staats‑ und Universitätsbibliothek nach Carl von Ossietzky. Wie überaus stabil die Abwehr einer Verantwortung wenigstens für die Erinnerung lange war, belegt Johann Klarmann pars pro toto in seiner akribisch recherchierten Studie über den Umgang mit dem ehemaligen Konzentrationslager in Neuengamme. Dort waren zwischen 1938 und 1945 etwa 106.000 Häftlinge aus 20 Ländern inhaftiert, 50.000 von ihnen wurden ermordet. Eingerichtet worden war es mit Billigung und unter Mithilfe der Stadt vor allem deshalb, weil die Häftlinge in einem Klinkerwerk das Material für den Bau geplanter NS‑Großprojekte in Hamburg herstellen sollten. Das NS‑Regime erwies dann der Stadt kurz vor der Kapitulation einen letzten Dienst und hinterließ den britischen Besatzern das KZ‑Gelände besenrein und ohne Leichen, wie man sie etwa in Bergen‑Belsen oder Dachau vorfand. Das britische Militär errichtete in Neuengamme übergangsweise ein Internierungslager, riss das Krematorium ab und erleichterte so den Hamburgern das Vergessen der KZ‑Opfer. So konnte man dann 1965 dem einstigen „Planer der gigantischen ‚Führerbauten‘“ (129), dem Architekten Konstanty Gutschow, ausgerechnet den Fritz‑Schumacher‑Preis für die Neugestaltung Hamburgs nach dem Krieg verleihen. Die ehemaligen KZ‑Opfer und ihre Angehörigen aber mussten über Jahrzehnte zäh für die Errichtung einer angemessenen Gedenkstätte kämpfen, wie Johann Klarmann in vielen Details nachweist – die Stadt zog es lange vor, auf dem Gelände Strafanstalten zu betreiben. Da diese an den reformorientierten Strafvollzug der Weimarer Zeit anknüpften, so die zynische Argumentation, werde dem Gedenken an die Opfer genüge getan. Klarmann kann diese mangelnde Empathie mit den Opfern plausibel unter Hinweis auf die personellen Kontinuitäten in der Hamburger Verwaltung vor und nach 1945 sowie mit dem Desinteresse in der Bevölkerung erklären. Außerdem ordnet er die Haltung der Stadt in den Kontext des Ost‑West‑Konfliktes ein, in dessen Rahmen Opfervertreter schnell nur als kommunistische Agitatore angesehen wurden. Erst mit der Eröffnung des Dokumentationshauses im Jahr 1981 (!) hat Hamburg begonnen, so ist der Studie schließlich zu entnehmen, sich verantwortungsvoll seiner Vergangenheit zu stellen. Mittlerweile ist das gesamte Gelände für das Gedenken freigegeben.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.325 | 2.35 | 2.313 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Johann Klarmann: Die erneute Demütigung. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36231-die-erneute-demuetigung_44337, veröffentlicht am 26.09.2013. Buch-Nr.: 44337 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken